Kolumbien: Werden Protestierende in Cali in "Zerstückelungshaus" gebracht?

Kleinlaster der Polizei beim Entladen von Leichen gesehen. Regierung lehnt Besuch der CIDH ab. 120 Verschwundene in Cali

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"Mama, wenn ich nicht zurückkomme, der Staat hat mich getötet"
"Mama, wenn ich nicht zurückkomme, der Staat hat mich getötet"

Cali. Bewaffnete Zivilgruppen sollen im Calier Wohlstandsviertel Ciudad Jardín ein sogenanntes "Hackhaus" eingerichtet haben. Dies prangert die Ökumenische Kommission Gerechtigkeit und Frieden (CIJP) an. Unter "Hackhäusern" oder "Zerstückelungshäusern" versteht man in Kolumbien private Einrichtungen, wo Menschen "geschlachtet" werden. Sie wurden vor allem in der Hafenstadt Buenaventura vor einigen Jahren zum Skandal (amerika21 berichtete).

Die CIJP erhielt am Sonntag Informationen über ein solches Haus in Cali und deutet es als möglichen Teil der repressiven parapolizeilichen Maßnahmen gegen die Proteste.

Ciudad Jardín wurde vor zweieinhalb Wochen Thema in den Medien, als Bewohner:innen dieses Stadtteils gegen den indigenen Rat von Nord-Cauca (Cric) mobil machten. Auch ging vorletzte Woche in den Medien die Whats-App-Nachricht von einer Einwohnerin des Stadtteils, der Ärztin Juliana Andrea Rojas Neira, viral: "Ich hätte Lust darauf, dass die Selbstverteidigungsgruppen hierher kämen und ungefähr 1.000 Indigene erledigen, nur so wenige, damit sie es verstehen. Wenn ich wüsste, wo ich dafür Geld geben muss, damit alles vorbei ist, eile ich dahin. Wenn jemand was weiß, soll er mir Bescheid geben."

Bislang werden in Cali 120 junge Protestierende vermisst. Die Familienangehörigen von einigen der Vermissten klagen, dass diese verschwanden, nachdem die Polizei sie in die Station des Stadtteils Meléndez brachte. Laut vertraulichen Quellen der CIJP habe die Polizei auch das Untergeschoss des Bürokomplexes der Stadtverwaltung von Cali (CAM) am fünften Protesttag, dem 2. Mai, als Zentrum von verdeckten Operationen gegen Demonstrant:innen benutzt. Sie seien dahin gebracht und dann in SUVs mit getönten Scheiben heraus gefahren worden.

Die CIJP-Quellen erzählen auch, dass Jugendliche, die die Polizei festgenommen hatte und danach verschwanden, in der Gemeinde Guacarí, 45 Minuten nördlich von Cali, hingerichtet würden. Überlebende seien später in Gesundheitsposten mit Schusswunden gefunden worden. Sie seien nun "versteckt und voller Schrecken".

Seit zwei Wochen berichten Zeugen außerdem über anonyme Massengräber im Ort Mulaló in der Gemeinde Yumbo, 30 Minuten nördlich von Cali. Dort soll die Polizei in der Nacht die Leichen von jungen Protestierenden, die auf der Liste der Verschwundene sind, aus Kleinlastern abgeladen haben. Die Stadträtin von Cali, Ana Erazo, hatte bereits den Bürgermeister von Cali, Jorge Iván Ospina, aufgefordert, Ermittlungen dazu einzuleiten. "Was wir befürchteten, beginnt tatsächlich zu passieren, und es tut mir in der Seele weh", postete Erazo am Freitag auf Twitter.

Die Nutzung des Untergeschosses des CAM als verdecktes Haft- und Folterzentrum der Polizei hat der Friedensbeauftragte der Stadtverwaltung von Cali, Danis Rentería, am Montag abgestritten. Die CIJP betonte am Tag davor die Notwendigkeit unabhängiger Ermittlungen. Beispielsweise habe die Staatsanwaltschaft "Abwesenheit von Unparteilichkeit" gezeigt. Die Zeug:innen der parapolizeilichen Aktionen, über die die CIJP berichtet, fürchten um ihr Leben.

Die Ökumenische Kommission ruft dazu auf, dass Gerichtsmediziner:innen zusammen mit der Einheit zur Suche nach Verschwundenen sowie nationale und internationale humanitäre Organisationen über die veröffentlichten Anprangerungen ermitteln.

Fällen von Polizeigewalt nachzugehen, ist während des Generalstreiks auch für unabhängige Journalist:innen besonders schwer geworden. Mindestens 149 Angriffe der Ordnungskräfte gegen Medienvertreter:innen hat die Stiftung für Pressefreiheit gemeldet. Am Wochenende haben die Behörden Hausdurchsuchungen bei Journalist:innen des Sozialnetzwerks der alternativen Medien für den Frieden durchgeführt. Sie beschlagnahmten dabei die technische Ausrüstung der Journalistin Sandra Castro, die über die "paramilitärische und polizeiliche Brutalität" intensiv berichtet hat.

Laut der Menschenrechtsorganisation "Defender la Libertad" (Die Freiheit verteidigen) habe die Polizei offenbar 52 Menschen im Rahmen des Generalstreiks seit dem 28. April getötet. 1.645 Personen haben die Sicherheitskräfte meistens willkürlich festgenommen und misshandelt. Sie haben zudem 715 Personen verletzt, 67 davon mit Feuerwaffen und 47 haben sie die Augen ausgeschossen.

Außerdem hat die Polizei laut Zeug:innen und Videos von Bürger:innen bewaffnete Zivilisten begleitet, die auf Protestierende schießen. Polizist:innen verstecken oft ihre Kennzeichnungen bei repressiven Aktionen und fahren Kraftfahrzeuge ohne Kennzeichen. Sie benutzen nichtpolizeiliche Einrichtungen als Haftzentren, wie den Supermarkt "Éxito" in Cali. Sie hat zudem in den ersten Tagen des Generalstreiks eine UN-Menschenrechtskommission beschossen.

Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte hatte Mitte April die Regierung von Iván Duque wegen der Anprangerungen der staatlichen Gewalt gegen die Proteste gebeten, einen Arbeitsbesuch in Kolumbien zuzulassen. Nach elf Tagen hat die neue Außenministerin und frühere Vizepräsidentin Marta Lucía Ramírez geantwortet, dass die Regierung diesen Besuch "noch nicht" gestattet. Erst mal müssten die kolumbianischen Behörden ihre eigenen Ermittlungen zu Ende führen, argumentierte Ramírez.

Die Aussage der Außenministerin hat bei Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI) für Empörung gesorgt. AI bezeichnete die Entscheidung als "alarmierend" und "gefährlich". "Iván Duque versäumt die Chance, den politischen Willen zur Anerkennung der gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu zeigen, die die Sicherheitskräfte unter seinem Kommando verüben", so die AI-Büroleiterin für den amerikanischen Kontinent, Erika Guevara-Rosas.