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Markus Feldenkirchen

Rassistische Morde in den USA Die Rache der Vergangenheit

Warum debattiert die US-Gesellschaft erst jetzt ernsthaft über Rassismus? Die Toten von Charleston sind auch die Toten einer Nation, die sich bislang geweigert hat, ihre früheren Fehler aufzuarbeiten.
Protest in Charleston: Geschichtsvergessener Umgang mit den Schwarzen

Protest in Charleston: Geschichtsvergessener Umgang mit den Schwarzen

Foto: David Goldman/ AP/dpa

Die Vereinigten Staaten sind großartig darin, das Unrecht aus anderen Ländern zu vertreiben. Oft helfen sie diesen Ländern sogar, mit ihrer schamvollen Vergangenheit zurechtzukommen. Deutschland wird den USA ewig dankbar sein. Dafür, dass sie ihre Soldaten über den Atlantik schickten, um die Nazis zu besiegen. Und dafür, dass sie uns Deutsche zwangen, uns mit den eigenen Verbrechen zu beschäftigen. Die Nürnberger Prozesse nahmen den Deutschen die Möglichkeit, ihre Taten zu bagatellisieren. Sie konnten sich nicht länger dumm stellen.

Ein richtiger Umgang mit den dunklen Flecken der eigenen Vergangenheit hingegen will den Vereinigten Staaten bis heute nicht gelingen.

Dazu gehört der Umgang mit den Indianern, den Ureinwohnern Amerikas, die, weil sie die Besiedlung des Westens störten, brutal verdrängt und notfalls getötet wurden. Sie wurden verraten, vernachlässigt, für dumm verkauft. Heute leben sie in ihren Reservaten unter den traurigsten Lebensbedingungen, die die zivilisierte Welt zu bieten hat.

Noch geschichtsvergessener aber ist der Umgang mit den Schwarzen, jenen Menschen also, die Amerikaner einst ihrer Heimat entrissen, auf Schiffe trieben und über Jahrhunderte wie Maultiere hielten. Selbst nach Ende des Bürgerkrieges und der offiziellen Abschaffung der Sklaverei dauerte es weitere hundert Jahre, bis die diskriminierenden Rassengesetze zumindest offiziell aufgehoben wurden.

Kein klarer Bruch, keine Entschuldigung

Doch bis heute gab es nie eine formelle Entschuldigung im Namen des Staates, keine Versuche der Wiedergutmachung, geschweige denn Entschädigungen. Viele Muster des legalen Rassismus wirken stattdessen noch immer. Wo ein klarer Bruch fehlt, fällt es den Bürgern offenbar schwerer, sich von alten Denkweisen zu verabschieden. So konnten viele Amerikaner ihre kranke Überzeugung von der Überlegenheit der weißen Rasse ungestört weiterleben.

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Konföderierten-Flagge in South Carolina: Kampf gegen ein Symbol

Foto: Ringo H.W. Chiu/ AFP

Man muss sich das einmal vorstellen: 150 Jahre nach Ende des amerikanischen Bürgerkrieges findet nun erstmals eine landesweite Debatte darüber statt, ob all die Devotionalien der Südstaatler noch wirklich angemessen sind. Es mussten erst neun Schwarze in Charleston sterben - hingerichtet von einem weißen Nazi, der sich mit der Südstaatenflagge und anderen Zeichen vermeintlicher weißer Überlegenheit schmückte. Dabei gab es nie einen Zweifel daran, dass die Südstaaten damals in den Krieg gegen den Norden zogen, um ihr "Recht" zu verteidigen, Schwarze weiter wie Tiere zu halten, sie in Ketten zu legen oder auszupeitschen, wenn sie nicht spurten.

Wie kann es sein, dass den meisten Politikern und Bürgern diese Flagge erst jetzt ein wenig peinlich ist? Warum wird erst jetzt gefragt, ob es wirklich geschickt ist, Plätze und Straßen nach den größten Kriegern im Kampf für die Sklaverei zu benennen? Soldaten können noch so "tapfer" gewesen sein, - wenn sie für ein widerliches Anliegen kämpften, setzt man ihnen einfach keine Denkmäler. Es sei denn, man findet diese Anliegen gar nicht so widerlich.

Größe zeigt sich im Umgang mit der Vergangenheit

Auf der Mall von Washington, nicht etwa in Deutschland, steht das wohl beste und eindringlichste Holocaust-Museum der Welt. Ein ähnlich imposantes Museum zur Geschichte der Sklaverei, zur eigenen Rassenpolitik oder zum Umgang mit den amerikanischen Ureinwohnern gibt es dort jedoch nicht. Thomas Jefferson, dem Autor der Unabhängigkeitserklärung, wurde auf jener Mall ein tempelähnliches Ehrenmal gesetzt. Dass Jefferson zugleich ein brutaler Sklavenhalter war, erfährt man hingegen allenfalls auf seinem Landsitz in Monticello - und das auch nur im Nebenprogramm.

Bis heute ist der amerikanische Umgang mit der eigenen dunklen Vergangenheit so bräsig, so verschwiemelt, so geschichtsvergessen, dass sich die Frage aufdrängt, ob die Mehrheit der Amerikaner überhaupt so etwas wie ein Schuld- oder Unrechtsbewusstsein gegenüber Schwarzen und Indianern empfindet. Oder ob sie eigentlich ganz froh darüber ist, dass die alten Machtverhältnisse irgendwie überwintern konnten.

Jede Nation hat ihre Vergangenheit, ihre dunklen Flecken, und finsterer als in Deutschland sind sie gewiss nirgendwo. Die Größe eines Landes zeigt sich jedoch auch darin, wie es mit dieser Vergangenheit umgeht und ob es zur kritischen Auseinandersetzung damit bereit ist. In dieser Hinsicht aber sind die USA bei Weitem nicht so groß, wie sie selbst glauben.

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