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Im Interview: VCW-Teamarzt Dr. Alexander Mayer

Nach 13 „orthopädischen Jahren“ beim VCW:
Sportlicher Höhepunkt? Ganz klar der 
Golden Set gegen Galatasaray Istanbul“

 

Die Fragen stellte Sabine Ursel​​​​​
(Journalistin, Wiesbaden)

 

Alex, wir haben zuletzt im Dezember 2022im Interview über Deine Aktivitäten gesprochen, damals in der Helios Aukamm-Klinik. Heute treffen wir uns in der neuen ATOS-Klinik in Biebrich an der Hagenauer Straße 47. Wie kam es zu dieser veränderten Konstellation?

Alexander Mayer:Seit fast zehn Jahren gab es Bestrebungen, die Aukamm-Klinik umzuziehen, passiert ist aber leider nichts.Wir haben dort mit fünf Ärzten als alleinige belegärztliche Abteilung auch die Leitung wahrgenommen und immer schwarze Zahlen geschrieben. Als wir dann von uns aus gekündigt haben, hat man sich bei Helios gewundert. Inzwischen war mit ATOS der Big Player im privatärztlichen Sektor Deutschlands auf uns zugekommen. Ergebnis: Wir haben GmbHs fusioniert und wirken seitdem unter ATOS-Ägide.

Was hat sich für die Patienten geändert?

AM:In Biebrich verfügen wir über eine neue 600 Quadratmeter große Praxisfläche, dazu gehören nun eigeneGerätefür MRTDVT-undWirbelsäulenvermessung. Wir haben drei hochmoderne Operationssäle, eine Station mit 20 Bettenund wir planen eine angeschlossenePhysiotherapie. Wichtig war uns auch einespezielle Praxissoftware.Für das ganze Projekt wurde viel Geld in die Hand genommen. Das alles wäre in der früheren Konstellation mit Helios nicht möglich gewesen. Unsere alten Praxisräume im Aukamm stehen mittlerweile leer, aber bis auf weiteres operieren wir dort oben auch noch in derKlinik. Wir haben weiterhin fünf Kassensitzeund behandeln nach wie vor neben Privatpatienten auch Kassenpatienten.

Und wer liegt bei Euch auf der Station? 

AM:Unser Fokus liegtauf demoperativemOrthopädie-Spektrum mit Erkrankungen bzw. Verletzungen an Hüft- und Kniegelenken, Schulter, EllenbogenundHandWir sind das einzige zertifizierteFußzentrum der Maximalversorgungin Hessen und Rheinland-PfalzStationär bleiben bei unPatienten mit Knie- und Hüftprothesen und nach großen Fuß und Sprunggelenkoperationen. Die meisten sindzwischen drei und fünf Tagenauf der Station.

Welche Rolle spielen Sportler bei Euch?

AM:Wir behandeln natürlich viele Freizeitsportlerund im Profibereich seit2011 die Athletinnen des VC WiesbadenZu uns kommen auch die Footballer der Wiesbaden Phantoms und die Rollstuhl-Profibasketballer der Rhine River Rhinos. Bei den Rhinos geht es in der Regel nicht um größere akute Verletzungen, eher um Fingerblessuren. Und wir kümmern uns auch um dieVersorgung mit Rollstuhl und Prothesen.

Beim VCW sitzt Du während der Erstbundesliga-Heimspiele auf der Tribüne, weil der Ausrichter einen Arzt stellen muss. Ende Oktober 2023 musstest Du Nationalspielerin Linda Bock vom SSC Palmberg Schwerin ad hoc in den Katakomben unserer Halle am Platz der Deutschen Einheit begutachten. Sie hattesich bei der Landung nach einem Angriff das Kreuzband gerissen ..

AM:Ja, aber solche Einsätze während einer Partie sindselten. Die Spielerinnen kommen nach Spielen oder aus dem Training heraus in unsere Praxis.Und wir machen natürlich Routine-Checks und untersuchen auch neue Athletinnen zu Saisonbeginn. Ich habe übrigens so gut wie nie ein Heimspiel verpasst. Ich bin ein Vollblut-Fan des VCW und richte auch meinen Urlaub an der Saison aus. Der Sport- und Ehrenamtsbereich ist mein Steckenpferd. Und wenn ich ausnahmsweise mal nicht kann, dann übernimmt mein Kollege Dr. Dirk Eiwanger. 

Wie steht es um die Fitness der stark beanspruchten VCW-Profis?

AM:Ziemlich gutangesichts der körperlichen und mentalen Belastung mit den internationalen Einsätzen, den Reisen und den vielen Englischen Wochen. Wir hatten seit Saisonbeginn im Oktober kaum längere Verletzungen zu behandeln, was für die gute Arbeit der Trainer spricht. Ich muss aber auch sagen, dass man beispielsweise beim Spiel gegen den hohen Favoriten Galatasaray Istanbul gemerkt hat, wie hoch die Qualität der VCW-Stammsechs bzw. Stammsieben ist.In den Spielen gegen Suhl in der Hauptrunde und zuletzt in der Zwischenrunde gegen Vilsbiburg, Aachen und Münster hat man dann aber freilich schon gemerkt, dass die Köpfe nicht mehr so frei waren wie erhofft.

VCW-Mittelblockerin Nina Herelová ist nach ihrer schweren Knieverletzung erstaunlich in die Saison gestartet und hat seitdem viele starkeMatches geliefert.

AM:Ja, in der Tat. Aber auch sie hat ein Jahr gebraucht, bis sie wieder einsatzbereit war. In dieser Saison sind die älteren Spieler vergleichsweise fitter als die Jüngeren.

Woran liegt das?

AM: Die Älteren sind naturgemäßerfahrener. Manche sind halt auch im Kopf weiter und wissenbesser, was sie wann und wie zu tun haben, auch nach Einsätzen in den Nationalteams über den Sommer hinweg.Dann kommen auch wenigerBelastungsbeschwerden zum Saisonbeginnvor. Die Jüngeren können von Nina in Bezug aufBelastungssteuerung viel lernen.

Sind jüngere Spielerinnen um die Zwanzig schon athletisch ausgereift?

AM:In der Regel nicht. Es dauert lange, bis sich der Bewegungsapparat nach der Wachstumsphase stabilisiert hat. Ältere haben diese Phase hinter sich.

Siehst Du derzeit spannende neue Behandlungsansätze in der Orthopädie?

AM: Dieser Bereich ist nie ausgereizt, man muss aber vorsichtig sein, damit das Rad nicht mehrfach neu erfunden wird. Bei Prothesen gibt es schon einige interessante Neuerungen. Man muss hierbei vorher schon viel nachdenken, etwa über Anatomie, Gelenklinie etc. Ich bin keiner, der nach schnellen Lösungen sucht. Ich analysiere mögliche Maßnahmen sehr genau. In der Sportmedizin beispielsweise kann eine Spritze nicht mal eben die schnelle Lösung sein. Ich interessiere mich auch für die Stammzellentherapie im Bereich Knorpelschäden. Das Thema ist hierzulande aber noch nichtpopulär, obwohl Verfahrensweise und Wirkung längst belegt sind. Man braucht hier unendlich viele Genehmigungen und darüber hinaus viel Geld. Polen beispielsweise ist uns um Lichtjahre voraus.Interessant ist auch das Thema Robotikin der Orthopädie. Das scheuen viele noch, weil viel Vor- und Begleitarbeit notwendig ist. 

Spielt Künstliche Intelligenz schon eine Rolle in der Orthopädie?

AM: Nein, zumindest derzeit noch nicht. KI wird kommen und das ist auch gut so! Die KI muss ja trainiert werdenbeispielsweise in Bezug auf die jeweiligen Winkel eines Knies und nach den Ergebnissenentsprechender OperationenWenn mir eine ausreichend trainierte KI sagen kann, welche adäquate Methode sich aus der Erfahrung ergeben könnte, wäre ich sofort dabei.

Zum Abschlussvon KünstlicheIntelligenz zuSpielintelligenz: Was war Dein größter Gänsehautmoment während Deiner13 VCW-Jahre?

AM: Das war ganz klar das Rückspiel im CEV Volleyball Challenge Cup gegen Galatasaray Istanbul mit dem irren Golden Set im Dezember 2023.Wenn wir dieses Match verloren hätten, wäre das schon wegen der türkischen Ultras sehr bitter gewesen. Was da vor, während und nach dem Spiel an derben Sprüchen auf die Spielerinnen niedergegangen ist, war schlichtweg unterirdisch. Dass die Mädchen den fünften Satz unter einem solchen Druck gewonnen haben, war auch mental eine ganz besondere Leistung.

Alex, vielen Dank mal wieder für das interessanteGespräch.

Kurzprofil

ATOS-Klinik, Wiesbaden
Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie, Sportmedizin, Chirotherapie, Radiologische Diagnostik Skelett, SonographieSpezialist für Kniechirurgie

Geboren:7.7.1967 in Kaufbeuren

1982-1991: Deutsche Nationalmannschaft Schwimmen (Brust); 
zehnfacher Deutscher Meister und Junioren-Europameister
1988:Olympiateilnehmer im deutschen Schwimmteam (Seoul), 12. Platz über 100 Meter Brust und Platz 4 mit der Staffel

seit 2011: betreuender Orthopäde beim VCW

VCW-Chef-Trainer seitdem:
Andi Vollmer, Dirk Groß, Christian SossenheimerBenedikt Frank