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Meinung

AboKolumne Philipp Loser
Warum Linke weniger moralisieren sollten

Einer der meistbeachteten Zeitungsartikel der vergangenen Wochen handelt von der Familie Iseli / Egger aus dem Berner Gürbetal. Die fünfköpfige Familie isst so gut es geht vegan und versucht, ökologisch nachhaltig zu leben. Im Herbst haben die Iseli / Eggers neunzig Kilogramm Äpfel gekauft, wenn die aufgebraucht sind, gibt es Rüebli zum Znüni. Auf dem WC hat es waschbare Stofftüechli statt Feuchtpapier, ein Auto besitzt die Familie nicht, Tomaten gibt es nur, wenn Tomaten Saison haben. Solche Dinge.

Das ist alles nicht bahnbrechend neu. Wir alle kennen Leute, die so oder ähnlich leben oder es zumindest versuchen. Das wirklich Erstaunliche an dieser Familie aus dem Gürbetal: Sie nervt kein bisschen.

Sie ist zum Beispiel nicht sehr konsequent. Hat jemand Geburtstag, gibt es eine Tomatenscheibe auf den Vegiburger. In der Tagesschule sind zwei der Kinder für das Fleischmenü angemeldet und im Adventskalender gab es ein Stück Käse für den Ältesten.

Man probiere verschiedene Dinge aus, sagt die Mutter, aber wenn sie sich als unpraktisch erweisen, dann könne man die auch lassen. «Wir haben auch nicht endlos Zeit, um zum Beispiel alles selber herzustellen.» Sie müssten mit ihrer Lebensweise niemandem etwas beweisen. Ihr Leben sei kein Wettbewerb.

Und an diesem Punkt wird einem klar: Wirklich speziell an dieser Familie ist die Abwesenheit von moralisierendem Gehabe. Iseli / Eggers wirken so sympathisch, weil sie sich a) offensichtlich nicht für etwas Besseres halten und weil sie sich b) nicht dazu verpflichtet fühlen, die restliche Welt zu ihrer Lebensweise zu bekehren.

Oft ist es ja anders. Oft reicht es Menschen nicht, dass sie nachhaltiger / ökologischer / «besser» leben als wir Unvollkommenen – sie müssen uns auch noch darauf hinweisen: «Also ich würde das anders machen.»

Die Belohnung für ihren Verzicht ist moralische Überlegenheit – so wie sich katholische Priester dank Zölibat näher bei Gott fühlen (im Idealfall). Es kommt nicht von ungefähr, dass eine radikal grüne Lebensweise (oder jede radikale Lebensweise) etwas von einer Ersatzreligion hat.

In der Politik ist der Moralismus ein Problem. Vor allem für die Linke. Zum einen ist er am Ursprung vieler mühseliger Debatten, in denen lautstark um das richtige linke Leben gestritten wird. Zum anderen bietet die Moralfrage den einfachsten und effektivsten Angriffspunkt für die politischen Gegner.

Weil es leider tatsächlich viele Linke und Grüne gibt, die ihren eigenen Lebensentwurf höher bewerten, funktioniert das Stadt-Land-Bashing einer SVP. Und zwar selbst dann noch, wenn die dazugehörende Kampagne erschreckend dilettantisch daherkommt.

Wer sich als etwas Besseres fühlt und dies dem Gegenüber zu verstehen gibt, macht sich nicht nur angreifbar (weil jeder Fehltritt zu Recht sofort angeprangert wird), sondern verabschiedet sich auch aus dem politischen Dialog. Hier liegt ein Grund für die zunehmend verhärteten Debatten zwischen den Lagern: Wer dem Leben der anderen Seite a priori verständnislos begegnet, beendet das Gespräch, bevor es begonnen hat.

Es fehlt so eine Basis des gemeinsamen Verständnisses. Das lässt sich nicht nur links, sondern auf beiden Seiten des politischen Spektrums beobachten. Die Konsequenz daraus ist nun allerdings nicht, sich all dem zu verweigern, was Moralisten als das bessere Leben betrachten würden. Oder aus Trotz das Gegenteil zu tun.

Nur weil einem irgendwelche missionierende Veganer auf die Nerven gehen, heisst das noch lange nicht, dass es vielleicht gar nicht so unschlau wäre, auf das eine oder andere Stück Fleisch zu verzichten.

Man sollte dabei einfach – herzliche Grüsse ins Gürbetal – möglichst entspannt bleiben.

Philipp Loser ist Redaktor des «Tages-Anzeiger».

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