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Stiftung-Denkmalschutz Stadtumbau

Altstadt versus Plattenbau

Blick auf Plattenbauten im Ortsteil Gropiusstadt in Berlin. Nicht das seriell gefertigte Einzelgebäude ist schützenswert, sondern das Gesamtensemble. Blick auf Plattenbauten im Ortsteil Gropiusstadt in Berlin. Nicht das seriell gefertigte Einzelgebäude ist schützenswert, sondern das Gesamtensemble.
Blick auf Plattenbauten im Ortsteil Gropiusstadt in Berlin. Nicht das seriell gefertigte Einzelgebäude ist schützenswert, sondern das Gesamtensemble.
Quelle: euroluftbild.de/Robert Grahn
Keine andere Schaffensperiode stürzt die Denkmalpflege so in Verlegenheit wie die Nachkriegsmoderne. Brauchen wir einen neuen Denkmalbegriff?

Stadtumbau ist das zentrale Projekt der schrumpfenden Gesellschaft. Bis 2080, so mahnte Helmut Ahuis, Präsident der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, schon vor fünf Jahren, verliert Deutschland 25 Millionen Einwohner. Noch lügen sich viele Kommunen speziell im Westen Deutschlands an der unabweislichen Tatsache vorbei, daß das Gespenst der Schrumpfung und Überalterung auch schon an ihre Mauern klopft. Sie werden ihre Haltung revidieren müssen..

Dieses Problem ruft auch den Denkmalschutz auf den Plan. Denn die Parole lautet „abreißen“ – aber es fragt sich, was? Was das Volumen anbetrifft, machen die Hinterlassenschaften des 20. Jahrhunderts die Hauptmasse des baulichen Erbes aus. Welcher Teil davon steht zur Disposition? Und überhaupt – welche Gebäude sind schützenswert? Altbau oder auch Platte?

Altbau oder Platte? Beispiel Halle/Saale

In welches Dilemma diese Frage die Denkmalpflege stürzt, wird am Beispiel Halle klar, wo die eine mit der anderen Stadthälfte konkurriert. 1200 Jahre Geschichte, eine der am wenigsten kriegszerstörten gründerzeitlichen Innenstädte Deutschlands, Baudenkmäler aus Gotik und Renaissance, Barock und Klassizismus – ein nationales Kulturdenkmal von heute unschätzbarem Wert, zu dem es in Deutschland kein Pendant gibt. Das ist die Altstadt.

Plattenbauten auf der Grünen Wiese, Musterstadt des sozialistischen Städtebaus der DDR, ausgelegt für 100.000 Einwohner, eine gigantische Monostruktur des industriell gefertigten Massenwohnungsbaus. Das ist Halle-Neustadt.

Beide Stadthälften liegen in kannibalistischem Ringen miteinander. Jeder Einwohner, den die eine der anderen abjagen kann, ist eine Überlebenshilfe für diese, ein existenzbedrohlicher Verlust für jene. Diese Konkurrenz der Stilepochen – sie ist nicht erst ein Thema des 21. Jahrhunderts. Sie hat ihren Ursprung in den 1920er-Jahren, als das ideologische Konstrukt der „soz. Stadt“ (Ernst May), russisch „Sozgorod“, entwickelt wurde. Für den Wiederaufbau nach 1945 stand es in beiden deutschen Staaten gleichermaßen Pate.

Dem Wüten der Stadtplaner fielen ganze Altstädte zum Opfer

West- und Ostmoderne unterscheiden sich daher kaum stilistisch. Es sei denn, man will es als charakteristisch für den Osten ansehen, dass der serielle, mechanisierte Wohnungsbau unter den Bedingungen der zentralisierten Planwirtschaft noch radikaler als im Westen mit dem Altbaubestand umging und mit den Typenbauten noch großflächigere, noch monolithischere Siedlungen hervorbrachte als der immer noch individualistischer geprägte Westen.

Das Grundschema war hüben wie drüben dasselbe. Es war der übereinstimmende Versuch, unter sehr verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen aus einer nur noch als unselig empfundenen nationalen Geschichte auszusteigen. Und so fielen dem Wüten der Planer ganze Altstädte zum Opfer – sei es in Fürth, Stuttgart, Hannover oder Kiel, sei es in Gotha, Zwickau, Chemnitz oder Dresden.

Sie waren dem Ziel im Wege, endlich zu realisieren, was an den Reißbrettern der Ernst May, Walter Gropius, Martin Wagner oder Le Corbusier schon in der Frühzeit der Weimarer Republik entworfen worden war: die Umwandlung der bürgerlichen Stadt der Individualisten in die „Sozgorod“ des Kollektivismus.

Architektur auf das Prinzip der Effektivität reduziert

Die Stadt in eine Maschine zur Erhöhung der Produktion und des Fortschritts umzuwandeln – das war der Kern der Vorstellung. Und es war die Geburtsstunde der autogerechten Stadt, die neben der Altbebauung auch alte Wegebeziehungen auslöschte und eine nie da gewesene Reduzierung von Architektur und Städtebau auf die Prinzipien der Rationalisierung und Effektivität einleitete. Ein Prozess, an dessen Ende dann die „Unwirtlichkeit der Städte“ stand, wie sie der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in seinem Sachbuchbestseller 1965 beschrieb.

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Gegen diese Uniformierung gab es nur einen Gegenpol: den Denkmalschutz. Er ist in der DDR noch sehr viel stärker „politisiert“ gewesen, als es im Westen Deutschlands je der Fall war. DDR-Denkmalpflege war alles andere als staatskonform, denn sie wirkte wie ein Bollwerk gegen die Konzepte der „sozialistischen Stadt“.

Mit denen sollte eben nicht nur „die Wohnungsfrage als soziales Problem“ (Erich Honecker) gelöst, sondern eine neue Gesellschaft materiell erschaffen und gleichsam in Beton gegossen werden. Die Parteibürokratie handelte hier, „als käme es darauf an, den politisch schon längst gewonnenen Klassenkampf nun im Nachhinein noch einmal architektonisch zu gewinnen“, wie der Ostberliner Architekturkritiker Bruno Flierl in seiner Dissertation 1978 erstaunlich unerschrocken anmerkte.

Denkmalpflege stand lange auf verlorenem Posten

Ganz ähnlich engstirnig nimmt sich aus, was parallel dazu die westdeutsche Bürokratie zur Schleifung, Verfremdung und Banalisierung des architektonischen NS-Erbes unternahm. So reichen die Versuche, das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg abzubauen, zu beschädigen, durch architektonische Kinkerlitzchen zu karikieren oder dem Verfall zu überlassen, bis in die jüngste Zeit.

Noch nach der Wiedervereinigung verlangte die FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer die Sprengung der Nazi-Ministerien, in denen zuletzt die SED gesessen hatte. Auch hier stand die Denkmalpflege, der es gerade um die geschichtliche Aussagekraft der baulichen Zeugnisse und nicht um deren „Zivilisierung“ gehen muss, lange auf verlorenem Posten.

Doch greift dieser Grundsatz auch beim industrialisierten Wohnungsbau? „In der Bundesrepublik Deutschland gibt es über 1,6 Millionen Wohnungen in über 240 Großwohnsiedlungen mit jeweils 2500 und mehr Wohnungen“, rechnet das IRS, das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner, vor. „Der größte Teil davon, das sind 1,14 Millionen Wohnungen, befindet sich in den circa 150 Großsiedlungen der neuen Bundesländer. In diesen während der DDR-Zeit errichteten Neubaugebieten leben heute etwa 23 Prozent der Bevölkerung in den neuen Ländern und Berlin Ost.“ So die Zählung von 1999.

Schon die Frage, was recht eigentlich das Denkmal an diesen Siedlungskomplexen sei, spricht ein Grunddilemma dieser Bauform an: Die Siedlungen bestehen aus Bautypen eines industriellen Elementebaus. Jedes Haus ist hundertfach vorhanden. Das unterscheidet die Gebäude von Bauwerken, mit denen sich sonst die Denkmalpflege beschäftigt – auch von jenen der Gründerzeit, die noch nach individuellen Entwürfen errichtet wurden.

Wesen des sozialen Wohnungsbaus liegt im Gesamtkonzept

Und das hat weitreichende Konsequenzen. Das Wesen des sozialen Wohnungsbaus und, auf das Beispiel Halle-Neustadt bezogen, der planvoll angelegten Chemiewerkerstadt erschließt sich nicht über den Einzelbau, sondern über das Gesamtkonzept.

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So hoben die Vordenker der IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 mit Recht die Bedeutung des Gesamtgefüges und des Stadtbildes als einer von Grund auf neu aus dem Boden gestampften und originären sozialistischen Großstadt hervor. Wichtig werden hier Gestaltungsmerkmale wie die Reihung gleichförmiger Baukörper, die Anlage von Sichtachsen, Magistralen, Einkaufsstraßen, Sportplätzen, Schulen, Kindergärten und so fort.

Wer das Wesen des gebauten Sozialismus, wer das sozialistische Menschenbild, die sozialistische Ästhetik erfassen will, kann dies nur anhand der Gesamtkomposition derartiger Stadtgebilde tun. Explizit gehört dazu auch das, was stört: die technischen Mängel und Fehlstellen, der Verzicht auf Kirchen und private Versammlungsstätten wie Kneipen, die Kahlheit und Übersichtlichkeit als Voraussetzung für Überwachung und Kontrolle oder die notorisch unfertige Grünanlage.

Ja, eine strenge Auslegung des Denkmalbegriffs würde es gebieten, darüber hinaus auch das zu konservieren, was als unverzichtbares Ausstattungsmerkmal, speziell in Kultur- und Klubhäusern, Hotels und Theaterfoyers, gelten muss: die eingebaute Abhörtechnik. Wer in den Zeugen der Baugeschichte Dokumente sieht, müsste diese Anlagen als Infrasystem bewahren. Sie legen offen, was diese Epoche und ihre Bauwerke auf einzigartige Weise geprägt hat und charakterisieren so das System, dessen Ausdruck sie waren, für alle Zeiten.

„Baukunst ist keine angewandte Archäologie“, sagt Walter Gropius

Heute ist kaum noch eine einzige von den monströsesten Siedlungen der „Sozgorod“-Zeit, sei es in Bremen die Monstersiedlung Osterholz-Tenever, sei es Halle-Neustadt oder Leipzig-Grünau, in ihren von den Bauherren bewusst gewählten Formen erhalten. Damit sind sie, bei Lichte besehen, schon lange keine Objekte einer verantwortungsvollen Denkmalpflege mehr.

Sanierung, Verschönerung und Ergänzung haben gerade jene Merkmale vernichtet, in denen sich einmal das Wesen einer Epoche verdichtete. Was wir vor uns sehen, sind Produkte einer Verniedlichung, Verhübschung und damit Verfälschung. Aus dem Denkmal wurde – das Falsifikat.

Keine andere Epoche der Baugeschichte stürzt die Denkmalpflege in solche Verlegenheit – keine andere setzt sie so grundsätzlich dem Zweifel an ihren eigenen Grundlagen aus. Bauhausgründer Walter Gropius, einer der Erfinder des seriellen Städtebaus, sah am Ende seines Lebens die Konsequenzen glasklar vor sich: „So hat unsere Generation wahre Gräuel von reglementierten Wohnhaussiedlungen produziert, die (..) in ihrer tödlichen Gleichförmigkeit mühelos mit jenen missglückten Vorfabrikations-Systemen konkurrieren können, die ein und dasselbe Haus industriell vervielfältigen statt nur Hausbestandteile, was die Flexibilität wahren würde.“

Walter Gropius, der das im 71. Lebensjahr niederschrieb, war von der Auffassung durchdrungen: „Baukunst ist keine angewandte Archäologie.“ Er hätte, was große Teile seines Lebenswerkes betrifft, vermutlich für Flächenabriss votiert.

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