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Schulreform in Finnland Weniger Fächer, mehr Wissen

Finnland gilt seit den Pisa-Tests als Schullabor der Welt. Jetzt probieren die Reformer etwas Neues aus: weniger Fachunterricht, mehr Kompetenzvermittlung. Sogar bei den Noten sollen Schüler mitreden dürfen.
Von Liisa Niveri
Land der Schulreformer: Finnisch gut

Land der Schulreformer: Finnisch gut

Foto: imago

Wenn es Nachrichten aus dem finnischen Schulsystem gibt, hört man auch in anderen Ländern genau hin. Diesmal geht es nicht um die neuesten Pisa-Tests, die in diesen Wochen wieder an deutschen Schulen geschrieben werden, sondern um eine umfangreiche Schulreform. Die greift im kommenden August und soll das Lernen in finnischen Schulen grundlegend verändern.

Die Vision der Pädagogen: Die Grenzen zwischen den Fächern werden weiter aufgeweicht, die Schüler sollen künftig noch selbstbestimmter arbeiten als bisher. Petteri Elo ist Klassenlehrer an einer Schule in Helsinki und berät Kollegen auf dem Reformweg. Er sagt: "Wir wollen den Schülern vermitteln: Du selbst bist der Hüter des eigenen Lernens."

Eigenverantwortung klingt noch nicht besonders revolutionär. Aber wenn man einmal anfange, die Schule konsequent vom Lernprozess des Schülers her zu denken, verändere sich eine Menge. "Die größte Veränderung ist, dass die Inhalte nicht mehr im Mittelpunkt stehen", sagt Elo. Stattdessen sollen sich die Schüler eine ganze Palette von Fähigkeiten erarbeiten. "Das Leben ist nicht nur Mathe, Physik und andere Unterrichtsfächer, sondern es besteht aus ganzheitlichen Vorgängen."

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Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

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Das Streben nach Ganzheitlichkeit zeigt sich im finnischen Reformprogramm sehr deutlich. Die Bildungsplaner haben sieben Kompetenzbereiche definiert, unter anderem: Kulturen kennenlernen, umfassende Informationsgewinnung, Beherrschen der Informationstechnologien, Arbeitswelt und Unternehmertum sowie Aufbau der nachhaltigen Zukunft. Im Mittelpunkt des Ganzen soll der Schüler stehen, der als Mensch und Bürger Spaß am Lernen hat - und das nicht nur im Klassenzimmer. Wenn es passt, soll Unterricht verstärkt draußen stattfinden, auf dem Land oder in der Stadt.

Was wollt ihr lernen? Und wie?

Elo nennt als Beispiel das Thema griechische Antike. "Nehmen wir die Klassen 6a und 6b. Die einen forschen über Athen, die anderen über die Olympiade. Wichtig ist, dass die Ideen von den Schülern selbst kommen. Und sie können in den Klassen völlig verschieden sein." Mit mehr Mitbestimmung bekommt das Lernen einen neuen Sinn und neue Orte. Das sei eine große Veränderung vor allem für die Lehrer, die bisher fachbezogen unterrichtet und den Stoff vorgegeben haben.

Auch bei den Klassenarbeiten ändert sich einiges: Die Schüler können ihre Lernmedien freier wählen und mal ein Buch oder mal das Internet benutzen. Und sie sollen sogar bei der Benotung mitreden dürfen.

Trotzdem verschwinden die Schulfächer nicht vom Stundenplan. "Die Fächer spielen weiterhin eine wichtige Rolle. Aber mit weniger strikter Abgrenzung und mehr praktischer Zusammenarbeit", sagt Irmeli Halinen, die im finnischen Schulministerium für die Reform verantwortlich ist.

"Man muss sich nur trauen"

Dieses fachübergreifende Lernen ist an vielen Schulen schon lange üblich - etwa an der Strömberg-Schule in Helsinki, wie die 14-jährige Siiri sagt: "Als das Thema Umweltschutz dran war, hatten wir in Biologie die Fische der Ostsee und deren Zustand erforscht, im Kunstunterricht haben wir Kunst aus Müll gemacht. Außerdem haben wir draußen Müll fotografiert und ein Recyclingzentrum besucht."

Ihren Satz, dass die Schüler im Mittelpunkt der Schule stehen soll, nehmen die Bildungsplaner in Helsinki sehr ernst. Auch die aktuelle Schulreform ist nicht an den Schreibtischen eines Ministeriums entstanden, sondern in intensiven Gesprächen mit den Beteiligten. 60.000 Schüler wurden befragt. Sie waren zwar zufrieden mit dem System, wollten aber mehr aktive Teilnahme.

Weitere Gründe für die Reform? Der Bildungsbegriff entfernt sich vom traditionellen Kanon des Wissens. Es gehe nicht mehr um bruchstückhaftes Wissen, sondern um die Fähigkeit, Zusammenhänge zu finden und große Informationsmengen zu beherrschen. "Immer mehr treten auch ethische Fragen in den Vordergrund. Deshalb geht es auch um die Kunst, nachhaltig zu leben", so Halinen.

Den Lehrern wird dabei einiges abverlangt. Sie müssen einfallsreich und flexibel sein. Routine reicht nicht. Die Schulleiterin und Lehrerin Eija Lohilahti aus der Patastenmäen Schule der Stadt Riihimäki sagt: "Wir haben langsam damit angefangen. Persönlich habe ich bei den Kollegen noch keinen Widerstand erlebt. Einige sagen: Ach, so habe ich das doch schon immer gemacht. Klar gibt es Kollegen, die sich vor allem mit den Informationstechnologien schwer tun. Aber man muss sich nur trauen."

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