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Mit E-Government könnte das Leben so einfach sein

Internetkabel: Wenn der Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung online erfolgt, lässt sich viel Geld sparen, sagen die Befürworter einer stärkeren Digitalisierung der deutschen Verwaltung Internetkabel: Wenn der Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung online erfolgt, lässt sich viel Geld sparen, sagen die Befürworter einer stärkeren Digitalisierung der deutschen Verwaltung
Internetkabel: Wenn der Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung online erfolgt, lässt sich viel Geld sparen, sagen die Befürworter einer stärkeren Digitalisierung der deutschen Verw...altung
Quelle: REUTERS
Die Politik ist beim Thema digitaler Staat zu zögerlich. Dabei ließen sich für Staat und Bürger Nerven und sehr viel Geld sparen. Wieviel günstiger ein digitales Rathaus ist, sieht man in Estland.

Worum geht es

Ein Druck der Bürgermeisterin Maria Unger auf einen großen roten Knopf – und schon startete vor einigen Tagen für alle Gütersloher eine neue Ära. Der Gang zum Amt soll für die Einwohner der ostwestfälischen Stadt künftig überflüssig werden. Stattdessen soll das freigeschaltete „Bürgerportal“ ihr Tor zur kommunalen Verwaltung sein.

Über ein persönliches Konto können Bürger nun fast alle Verwaltungskontakte abwickeln. Mülltonen anmelden, Hundesteuerangelegenheiten erledigen oder Urkundenanträge bezahlen – all das kann der Gütersloher nun im Netz erledigen. Rund um die Uhr, blitzschnell. Denn das persönliche Bürgerkonto überträgt praktischerweise automatisch alle Nutzerdaten in Anträge.

Gütersloh ist eine von mehreren „Modellkommunen E-Government“ des Bundesinnenministeriums – und einer von wenigen Leuchttürmen des digitalen Wandels in der Bundesrepublik. Denn so stolz die Deutschen auf ihre gut funktionierende Verwaltung sind, so sehr hinkt der Staat bei der Digitalisierung anderen Ländern hinterher. „Deutschland hat einen großen Nachholbedarf bei E-Government“, konstatiert Dirk Arendt, Vorstandsmitglied der Initiative D21.

Digitale Angebote werden gebraucht

Der analoge Tiefschlaf kostet die Bürger nicht nur Zeit und Nerven. Die Politik verschwendet auch viel Geld. Experten sehen dringenden Handlungsbedarf: „Wir müssen uns über die Ministeriums- und Behördengrenzen hinweg besser organisieren“, fordert Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats, der die Bundesregierung beim Bürokratieabbau berät. „Nur so können wir die erheblichen Einsparmöglichkeiten und Effizienzgewinne von E-Government wirklich nutzen.“

Einen Termin bei der Stadt online ausmachen, Anträge ausfüllen, nach Fundsachen suchen – diese Angebote bieten viele Verwaltungen inzwischen an. Doch E-Government ist längst mehr als das. „Die großen Herausforderungen der nächsten Jahre werden andere sein“, sagt Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städtetag. So wird in einer alternden Gesellschaft Mobilität eine große Rolle spielen. Aus dem gleichen Grund wird Telemedizin für kommunale Krankenhäuser stärker auf die Agenda rücken. Dazu kommt das Thema Energie. Für all das braucht es digitale Angebote.

Big Data wird die Behörden ebenfalls vor Herausforderungen stellen, etwa beim Wissensmanagement. In den nächsten Jahren gehen Hunderttausende Staatsdiener in Pension. „Ihr Wissen muss digital gespeichert und in neue Prozesse gebracht werden“, sagt D21-Vorstand Arendt. Doch auch Ideen der Bürger können durch neue digitale Beteiligungsformen für Verwaltungen Impulse bringen.

Wenn Bürger bereit sind, ihre Bewegungsdaten innerhalb einer Stadt bereitzustellen, können daraus bessere Stauprognosen erstellt und eine effizientere Verkehrsplanung abgeleitet werden. Für all das braucht die Verwaltung jedoch ausgeklügelte IT-Systeme. „Und das geht nun mal nicht von heute auf morgen“, sagt Habbel.

Unterschriften haben nur noch zeremoniellen Charakter

Allerdings hat die Politik nicht übermäßig viel getan. Der Normenkontrollrat kritisiert den fehlenden „politischen Rückenwind“. Bei vielen Deutschen ist die Digitalisierung staatlicher Angebote noch nicht in den Köpfen angekommen, wie der E-Government-Monitor 2014 zeigt. In Österreich und Schweden nutzten 70 Prozent aller Bürger digitale Angebote der Verwaltung. In Deutschland waren es nur 45 Prozent.

Und während in der Schweiz 87 und in Schweden 67 Prozent mit E-Government-Angeboten zufrieden waren, sagten dies hierzulande gerade mal 52 Prozent. Bei vielen Deutschen schwingt nach den Abhörskandalen der vergangenen Jahre stärker als in anderen Ländern die Angst vor Datendiebstahl mit. Doch nicht nur die Umfragen fallen schlechter aus als in anderen Ländern. Im E-Government-Index der Vereinten Nationen (UN) rutschte Deutschland zuletzt von Platz 17 auf Rang 21 ab.

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Staaten wie Estland machen dagegen vor, was heute schon möglich ist. „E-Estonia“ heißt die Strategie, das Land zu digitalisieren. Unterschriften mit der Hand haben in Estland nur noch einen zeremoniellen Charakter. Gezeichnet wird mit der digitalen Signatur. Das Land garantiert jedem Bürger eine Netzidentität, die er in Form seines Personalausweises mit sich trägt.

Über Kartenlesegeräte und ihren persönlichen Code autorisieren sich die Esten im Datenverkehr mit dem Staat. So speichern die Finanzbehörden Daten für die Steuererklärung automatisch. Am Ende des Jahres steht die Erklärung fertig im Netz, der Bürger gibt sie nur frei. Stundenpläne und Schulnoten können Eltern online einsehen. Seit 2005 können die Esten sogar per Internet wählen.

Auch wenn man nicht soweit gehen muss, ist die Bilanz doch beeindruckend. Laut der Regierung in Talinn kostet die staatliche IT mit nur 50 Millionen Euro ein 400-stel des britischen IT-Etats. Das ist selbst dann noch wenig, wenn man die Größenunterschiede zwischen beiden Ländern herausrechnet.

Deutschland verplempert Geld

Der deutsche Staat verplempert dagegen unnötig Geld. Anfang März trug der Normenkontrollrat dem Bundestags-Ausschuss für Digitale Agenda vor, wie groß die Einsparpotenziale von E-Government sind. Zwischen 2006 und 2013 senkte der Staat die Bürokratiekosten wie angepeilt um insgesamt zwölf Milliarden Euro.

Allein 50 Prozent der Einsparungen gelangen über E-Government: Vier Milliarden Euro durch elektronische Rechnungsstellung, 750 Millionen Euro durch eine elektronische Sozialversicherung und 240 Millionen Euro durch eine elektronische Lohnsteuerkarte. Und es gäbe einen noch viel größeren Schatz zu heben. Die Bundesregierung schätzt, bei einer vollständigen Umsetzung von E-Government nach 30 Jahren eine Milliarde Euro einsparen zu können – pro Jahr.

Quelle: Infografik Die Welt

Doch davon ist die Politik noch weit entfernt. „Wir sollten Deutschland E-Government-fit machen. Leider befindet sich die Bundesregierung aber noch im Dornröschen-Schlaf“, sagt Dieter Janecek, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Zwar hat die schwarz-gelbe Bundesregierung 2013 ein E-Government-Gesetz auf den Weg gebracht, um rechtliche Hemmnisse zu beheben. Und die große Koalition hat das Programm „Digitale Verwaltung 2020“ eingerichtet, um Behörden bei der Digitalisierung zu unterstützen und technische Infrastrukturen zu schaffen.

Doch Experten reicht das nicht. „Wichtiger als technische sind institutionelle Infrastrukturen, die garantieren, dass beim E-Government alle Verwaltungen an einem Strang ziehen, ihre IT-Lösungen aufeinander abstimmen und gemeinsam weiterentwickeln“, sagt Normenkontrollratschef Ludewig. „Daran ändert leider auch das jüngst verabschiedete Regierungsprogramm Digitale Verwaltung 2020 noch nichts.“

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Zwar soll der „IT-Planungsrat“ Bund und Länder koordinieren. „Aber er spielt fast überhaupt keine Rolle. Dabei sollte er zum Dirigenten der digitalen Modernisierung des Staates werden“, beklagt Arendt. Die strategische Vernetzung der Zukunftsprojekte von Bund, Ländern und Kommunen sei „mangelhaft“.

So lassen Behörden häufig für viel Geld auf ihre speziellen Bedürfnisse ausgerichtete Anwendungen entwickeln, die nicht gut funktionieren. Zugleich setzen Bund, Länder und Gemeinden verschiedene IT-Systeme für gleiche Anwendungen auf. All das muss sich ändern.

Aber zuerst müssen Bürger und digitale Verwaltungen zueinander finden. Arendt träumt davon, dass die Bürger in Zukunft zu „Co-Produzenten“ staatlicher Prozesse werden. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.

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