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Deutschland leidet unter dem Nachtschicht-Syndrom

Nachtdienst ist vor allem in Pflegeberufen weitverbreitet Nachtdienst ist vor allem in Pflegeberufen weitverbreitet
Nachtdienst ist vor allem in Pflegeberufen weit verbreitet
Quelle: picture alliance / dpa
Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland arbeiten nachts. Ihre Belastungen sind hoch, für den Schutz ihrer Gesundheit wird wenig unternommen. Dabei würden schon Kleinigkeiten helfen.

Es ist ein Leben neben dem Leben: Wer in der Nacht arbeitet, findet nicht zur Ruhe, wenn er es am meisten braucht – und kann zugleich nicht am Alltag der anderen teilnehmen. Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland arbeiten laut Statistischem Bundesamt regelmäßig gegen ihren Biorhythmus. Sie sehen deswegen ihre Familien und Freunde weniger, und sie haben ein höheres Krankheitsrisiko.

Ursache für alle durch Nachtarbeit ausgelösten gesundheitlichen Schäden ist das, was in der Wissenschaft „Desynchronisation“ heißt: Menschen können ihre innere Uhr nicht abstellen – und die sagt ihnen, dass der Körper nachts schlafen will. „Wenn man tagsüber ins Bett muss, ist der Schlaf verkürzt und leichter. Seine Qualität ist immer schlechter“, sagt Arbeitspsychologin Anna Arlinghaus von der Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung (Gawo) der Uni Oldenburg. Daher seien Nachtarbeiter auch immer dem Risiko der Übermüdung ausgesetzt.

Weil die Leistungsfähigkeit nachts geringer sei, steige das Fehler- und Unfallrisiko. „Unser Körper ist außerdem darauf eingestellt, große Mahlzeiten tagsüber einzunehmen. Viele Menschen in der Nachtschicht haben deswegen Magen-Darm-Probleme.“

Pflegekräften im Nachtdienst droht die soziale Isolation

All das mag im Einzelfall unangenehm sein – über Jahre hinweg kann es krank machen. „Pflegende im Nachtdienst tragen ein großes Risiko physischer, psychischer und sozialer gesundheitlicher Belastung“, sagt Pflegepädagoge Jörg Schmal, der für sein Buch „Gesund trotz Nachtdienst“ die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche untersucht hat. So könne die soziale Isolation durch die anomalen Arbeitszeiten zu psychischen Erkrankungen führen, die Schlafprobleme könnten chronisch werden. Sogar ein höheres Krebsrisiko werde in der Forschung diskutiert, sagt Arlinghaus.

Nachtdienst ist vor allem in Pflegeberufen weitverbreitet
Nachtdienst ist vor allem in Pflegeberufen weit verbreitet
Quelle: picture alliance / dpa

Möglichkeiten, die Belastungen im Nachtdienst zu verringern, gibt es viele. Sie funktionieren aber meist nur dann, wenn der Arbeitgeber mitspielt. Arlinghaus nennt etwa das Anbieten leichter Mahlzeiten oder auch Schlafpausen während der Arbeit, vor allem aber den Verzicht auf rückwärtsrotierende Dienstpläne – also solche, in denen ein Frühdienst auf einen Spätdienst folgt und die Erholungspausen nur kurz sind.

In der Praxis ist vieles davon aber gar nicht möglich, einfach weil der Nachtdienst auf zu wenigen Schultern verteilt wird. So ergab eine Studie der Universität Witten/Herdecke unter Pflegern, dass diese in 72 Prozent aller Fälle allein schon deswegen keine Pause machen können, weil sie nachts ganz allein für die Bedürftigen zuständig sind.

Der Pflegeexperte Schmal fordert deshalb mehr Vorgaben der Politik: „Es müsste eine gesetzliche Personalmindestbesetzung geben und eine Anpassung des Personalschlüssels an die Schwere der Arbeit. Dann könnten Pausen im Nachtdienst auch wirklich realisiert werden“, sagt Schmal.

Arbeitspsychologin Arlinghaus beklagt, dass das Arbeitsrecht zu viele Ausnahmen zulässt. „Ruhezeiten dürfen in Krankenhäusern vom Arbeitgeber verkürzt werden, wenn es dafür später eine längere Ausgleichszeit gibt.“ Auf diese Weise würden die Belastungen zu groß. Es komme zu Erschöpfungen. „Das können die Menschen nicht vier Wochen später wieder ausgleichen“, mahnt Arlinghaus.

epd/pos

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