Für jüdi­sche Israe­lis ist es ein lebens­ge­fähr­li­ches Unter­fan­gen, für uns war es ein Aben­teuer: Wäh­rend mei­nes Vol­un­teer-Auf­ent­halts in Israel bekam ich die Chance, Jor­da­nien zu besu­chen. Mein korea­ni­scher Freund Shin und ich erkun­de­ten die Wüs­ten­land­schaft Wadi Rums und wan­del­ten im Welt­wun­der Petra zwi­schen anti­ken Königs­grä­bern und uralten Schatz­kam­mern auf den Spu­ren von Indiana Jones.

Es ist noch früh am Mor­gen, die Luft ist die­sig. Sonst ist die Wüs­ten­sonne um diese Uhr­zeit schon da, eine bren­nende Scheibe am Him­mel, aber heute ist sie hin­ter der san­di­gen Atmo­sphäre ver­bor­gen. Zum ers­ten Mal wäh­rend mei­ner vier Monate in Yot­vata bleibt das Gebirge auf der ande­ren Seite der Arava-Senke unsichtbar.

Mit unse­ren Ruck­sä­cken bepackt ste­hen Shin und ich am Stra­ßen­rand, den Dau­men über den Bord­stein gereckt. Keine fünf Minu­ten müs­sen wir war­ten, da hält ein Last­wa­gen an. „Chi­cken, tons of chi­cken“, ant­wor­tet der Fah­rer auf die Frage, was sich in sei­ner Lade­flä­che ver­birgt. Er fährt nach Mitzpe Ramon, auf dem Weg dort­hin liegt Eilat, da müs­sen wir hin. Sababa, Super. Wir stei­gen ein.

Die Frau im Immi­gra­tion Office nimmt unsere Rei­se­pässe in die Hand, ein­mal Deutsch­land ein­mal Süd­ko­rea, und schaut uns fra­gend an. „We vol­un­teer here“, erklä­ren wir, sie drückt die not­wen­di­gen Stem­pel auf die Sei­ten. Dann neh­men wir ein Taxi zum Grenz­über­gang. Nach zehn Minu­ten sind wir drü­ber, las­sen die Maschen­draht­zäune und die braun­ge­brann­ten Sol­da­ten mit ihren Geweh­ren hin­ter uns.

Der Him­mel klart auf und Gigan­ten aus Sand­stein erschei­nen. Die Berge, die wir sonst nur aus der Ferne ken­nen, klet­tern vor uns in den Him­mel. Je nach Wet­ter schwankt ihre Farbe zwi­schen Ocker und Bor­deaux, heute blei­ben die zer­furch­ten Abhänge mattbraun.

Hin­ter der Grenze war­tet eine Kolonne an Taxi­fah­rern. Ein älte­rer Herr mit Schnauz­bart ist der Capo des Kar­tells, er weist uns mit herr­schaft­li­cher Geste einen jün­ge­ren Kol­le­gen zu.

Wir wer­den in ein erstaun­lich moder­nes Gefährt ver­frach­tet. Aus dem Radio schal­len ara­bi­sche Klänge. Unser Fah­rer weist uns non­cha­lant dar­auf hin, dass der Weg nach Petra über die Wüs­ten­land­schaft Wadi Rum führt – wir ent­schei­den uns für einen Zwischenstopp.

Wir pas­sie­ren den Desert High­way und den King’s High­way in nörd­li­cher Rich­tung. Rechts zie­hen Berge vor­über, links liegt die Wüste. Ab und zu kommt ein Wagen ent­ge­gen. Sand­kör­ner klop­fen gegen die Wind­schutz­scheibe, die Strom­lei­tun­gen am Stra­ßen­rand beglei­ten uns. Nach zwei Stun­den lenkt der Fah­rer das Auto auf einen Park­platz, wir sind da.

Ein klei­ner Ort fun­giert als Ein­gang zum Gebiet. Die Gebäude der Rei­se­lei­ter drü­cken sich in den Schat­ten der umlie­gen­den Berge, ein paar Kamele ste­hen ver­lo­ren auf dem Dorf­platz, sonst gibt es hier nicht viel zu sehen.

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Ein Jeep holt uns ab und fährt aus dem Dorf her­aus in die Wei­ten des Wadis. Die Rei­fen wir­beln Sand auf und hin­ter uns ent­steht eine trübe Wolke, die Sicht auf die Zivi­li­sa­tion ist ver­sperrt. Der Blick geht nach vorne. Wind flat­tert durch die Haare. Ein Gefühl von Freiheit.

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Der Jeep bleibt auf den aus­ge­fah­re­nen Sand­pis­ten. Was wohl pas­sie­ren würde, wenn er die Wege ver­lässt, mit­ten in die Wüste steu­ert, ins Unend­li­che fährt?

Statt­des­sen hält der Fah­rer an einer kar­me­sin­ro­ten Sand­düne an. Ein Noma­den­zelt erwar­tet uns. Stö­cke sind in den Boden gerammt, die dar­über auf­ge­spann­ten Pla­nen spen­den Schat­ten. Der Herr des Hau­ses öff­net die Arme zur Begrü­ßung. Er nimmt eine gol­dene Kanne von der klei­nen Feu­er­stelle und bie­tet uns zucker­sü­ßen Tee in klei­nen Tas­sen an, dann zeigt er uns seine Aus­lage. Der schwere Duft von Mus­kat liegt in der Luft.

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Ob der Nomade tat­säch­lich hier im Zelt in der Wüste lebt ist unge­wiss, auf jeden Fall wirkt er mit sei­nem Paläs­ti­nen­ser­tuch auf dem Kopf und dem lan­gen Gewand ver­dammt authen­tisch. Sein Gesicht ist ver­wit­tert, die Hände sind vol­ler Schwie­len. Auf seine Bitte hin tra­gen wir uns in das Gäs­te­buch ein. Wir kau­fen nichts, zum Abschied grum­melt er uns etwas Unver­ständ­li­ches zu und küm­mert sich wie­der um die Teekanne.

Schade, dass wir nur wenige Stun­den hier ver­brin­gen dür­fen, aber Petra war­tet. Wir ver­las­sen Wadi Rum, der Jeep bringt uns zurück zum Taxi.

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Mit Staub im Gesicht und Sand in den Schu­hen kom­men wir abends in unse­rem Hos­tel an, vol­ler Vor­freude auf den nächs­ten Morgen.

Und der beginnt früh. Der Wecker schellt um vier­tel vor sechs. Anzie­hen, Früh­stück, los geht’s. Der Weg von der Her­berge nach Petra führt steil bergab durch die Stra­ßen von Wadi Musa. Es ist ver­dammt kalt, die Höhe macht sich bemerk­bar. Trotz mei­ner Fleece-Jacke friere ich.

Der Ein­tritt für zwei Tage ist mit 55 Dinar (~70€) ganz schön teuer. Egal, wir legen die bun­ten Scheine auf den Tisch und durch­que­ren das Dreh­kreuz. Nach einem zehn­mi­nü­ti­gen Fuß­marsch kommt das erste Zwi­schen­ziel in Sicht: Vor uns erstreckt sich der Siq, ein rie­si­ger Spalt zwi­schen zwei Fels­wän­den, der Ein­gang zu Petra. Der Ein­schnitt ist 70 Meter tief.

Shin und ich sind die Ers­ten, die heute Mor­gen hier durch­kom­men. Fffsch, fffsch, fffsch, der bestaubte Boden dämpft unsere Schritte. Ein gedehn­tes Echo wis­pert durch die Schlucht, von Wand zu Wand. Unter uns, neben uns, über uns nichts als Sand, durch die Jahr­tau­sende zu Stein gepresst, in mäan­dern­den Linien wan­dert er den Fels ent­lang. An den engen Stel­len muss man den Kopf in den Nacken legen, um einen klei­nen Strei­fen Him­mel zu erkennen.

Und plötz­lich erscheint vor uns das Ende.

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Bis auf einen Kamel­trei­ber und seine zwei Tiere sind wir allein. Wir haben die Magie des Ortes ganz für uns, müs­sen sie mit nie­man­dem tei­len. Die Fas­sade ist beein­dru­ckend. Ich starre hin­auf, fühle mich bedeu­tungs­los und bin vol­ler Ehr­furcht. Es ist die Schatz­kam­mer Khazne al-Firaun, vor fast 2000 Jah­ren aus dem Stein geschlagen.

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Damals, zur Zeit Jesu Christi, herrschte hier das Volk der Naba­täer, dann kamen die Römer. Die Fel­sen­stadt geriet jahr­hun­der­te­lang in Ver­ges­sen­heit, bevor sie im 19. Jahr­hun­dert wie­der­ent­deckt wurde. Für Law­rence von Ara­bien war Petra der „schönste Ort der Welt“.

Dank Indiana Jones, der hier in sei­nem letz­ten Kreuz­zug den hei­li­gen Gral suchte, ist Khazne al Firaun der berühm­teste Anblick Petras.

Wir set­zen uns in den Sand, genie­ßen die Stille und blei­ben eine Weile.

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Hin­ter uns hal­len Schritte und Stim­men durch den Siq, die ers­ten Tages­grup­pen sind im Anmarsch. Bevor sie uns ein­ho­len kön­nen, set­zen wir unse­ren Weg durch das Tal fort. Rechts von uns befin­den sich die Grä­ber der Königs­wand, links das Römi­sche Thea­ter, über­all ver­liert sich der Sand­stein in unfass­ba­ren Far­ben und For­men, fast wie Regenbögen.

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Mit den Mit­tags­stun­den kommt die Hitze und mein Fleece ver­schwin­det im Ruck­sack. Über 800 Stu­fen klet­tern wir hin­auf zum Klos­ter von Ad-Deir, dem größ­ten noch erhal­te­nen Gebäude von Petra. Nicht nur die Sonne brennt son­dern auch unsere Oberschenkel.

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Ein klei­nes Kätz­chen sagt Hallo und lässt sich nicht abwim­meln. Es turnt auf uns herum, ballt seine Tat­zen zusam­men, leckt sie ab und schaut uns fra­gend an. Ob es die Brote in unse­ren Papier­tü­ten sind? Auf jeden Fall mag uns der kleine Gar­field, und das beruht auf Gegenseitigkeit.

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Shin und ich ver­brin­gen den kom­plet­ten Nach­mit­tag mit Wan­dern, wir wol­len jede noch so kleine Ecke der Fel­sen­stadt erkun­den. Auf dem Weg tref­fen wir Vlad, einen Rumä­nen mit Fai­ble für Geschichte. Er ist bereits zum zwei­ten Mal in Petra und sollte sich eigent­lich aus­ken­nen, trotz­dem ver­ir­ren wir uns in den Sei­ten­tä­lern gleich drei­mal, fin­den aber immer hilfs­be­reite Jor­da­nier, die uns trotz Sprach­bar­rie­ren mit Hän­den und Füßen den rich­ti­gen Weg weisen.

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Am Ende des Tages sind wir wie­der beim Platz vor der Schatz­kam­mer ange­langt. Die­ses Mal erin­nert er an einen Basar. Die Kamel­be­sit­zer und Sou­ve­nir-Ver­käu­fer über­tö­nen sich gegen­sei­tig in ihren Ver­su­chen, Dienst­leis­tun­gen oder Pro­dukte an den Mann zu brin­gen. Aus dem Siq dröhnt eine Kako­pho­nie, wie ein Vul­kan speit er immer mehr Tou­ris­ten aus. Mit Sel­fie-Sticks fuch­teln sie durch die Gegend und feu­ern sich gegen­sei­tig beim Kamel­rei­ten an.

Wir beob­ach­ten das Trei­ben der Menge. Es ist inter­es­sant anzu­schauen, aber ein gewal­ti­ger Kon­trast zur mor­gend­li­chen Men­schen­leere. Vor weni­gen Stun­den war die Magie hier all­ge­gen­wär­tig und mit Hän­den zu grei­fen, jetzt muss man lange nach ihr suchen. Der Men­schen­strom hat sie fort­ge­spült. Der Andrang ist ver­ständ­lich, die sechs Säu­len von Khazne al-Firaun sind wun­der­schön. Sie thro­nen unbe­irrt über dem Platz, wie seit zwei Jahr­tau­sen­den, und las­sen sich von dem Tru­bel nicht beeindrucken.

Cate­go­riesJor­da­nien
David Wünschel

Irgendwo zwischen den Reisterrassen Nepals und der staubtrockenen Wüste Israels wurde das Rucksack-Reisen zu Davids Leidenschaft. Mittlerweile studiert er im Zweitversuch Journalismus. Manchmal sitzt er im Hörsaal oder in seinem kleinen Zimmer und denkt an fremde Länder. Dann kommt das Fernweh, dann beginnt das Warten auf die Semesterferien: Um endlich wieder losziehen zu können.

  1. Miuh says:

    Wow, wahn­sin­nig beein­dru­ckende Bil­der! Trotz­dem kann ich mir vor­stel­len, dass Fotos der tat­säch­li­chen Situa­tion und der Stim­mung nie ganz gerecht wer­den kön­nen. Der Sand, die Luft, das Licht… ich stelle mir das sehr spe­zi­ell vor! Vie­len Dank für’s zei­gen und beson­ders auch für die lie­ben Kat­zen­bil­der :-) Miuh

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