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  4. Büroeinrichtung: Lieber einen Kicker oder einen verstellbaren Tisch?

Design Office-Einrichtung

Was haben Rutsche und Bällebad im Büro zu suchen?

Amazon pflanzt einen Dschungel um die Schreibtische, in anderen Büros sollen Rutschen oder Kicker die Mitarbeiter produktiver machen. Was bringt der Spaß am Arbeitsplatz? Die Mitarbeiter freuen sich nämlich nicht wirklich darüber.
Willkommen im Wunderland der Werber. Die Agentur JWT in Amsterdam
Willkommen im Wunderland der Werber. Die Agentur JWT in Amsterdam
Quelle: JWT Amsterdam / Foto Kasia Gatkowska

Angefangen hat alles mit dem Tischkicker. Plötzlich stand er da. Nicht dort, wo man ihn ursprünglich vermuten würde, im Landschulheim oder in der schummrigen Eckkneipe – nein, mitten im Großraumbüro. Und zwar von Gera bis Gütersloh.

Wie genau es dazu kommen konnte, lässt sich schwer nachvollziehen. Eine plausible These lautet: Irgendwann, vermutlich Anfang der Nullerjahre, machten ein paar findige Hamburger Werber nicht nur das kollektiv am Arbeitsplatz verzehrte Feierabendbier salonfähig; ein weitblickender Chef stellte seinen kreativen Köpfen auch einen Kickertisch in ihr lichtdurchflutetes Industrieloft. Der sollte dabei helfen, für ein paar Momente den Alltagsstress zu vergessen und gleichzeitig den nötigen Motivationsschub für den nächsten Millionen-Pitch liefern.

Finden wir das gut?

Spielen während der Arbeitszeit!? Das musste in den Ohren des Durchschnitts-Arbeitnehmers damals fast wie eine Revolution klingen; erlaubte man sich doch im Rest der Republik bis dato zur gedanklichen Zerstreuung allenfalls einen Schluck Rooibostee aus einer frechen Mottotasse oder ab und zu kurz die Topfgeranie zu gießen.

Heute aber wissen wir: Der Kicker ist zu einem Synonym für eine neue Arbeitskultur geworden. Zwar ist die Büroavantgarde längst weitergezogen und hat inzwischen auch die Branche gewechselt. So blicken junge Start-up-Gründer heute gebannt in die USA und auf Tech-Firmen wie Facebook, Google oder Amazon, der Spieltrieb aber ist geblieben, beziehungsweise er ist entschieden weitergetrieben worden.

Eine Mischung aus Regenwald und Kinderparadies

Hängematten etwa nutzt man in Kalifornien längst gezielt zum effektiven Powernapping. Und auch sonst geht es spielerisch leicht zu in der neuen, digitalen Arbeitswelt: Da wird in die Kaffeelounge gerutscht, in der Mittagspause der Montagmorgen-Blues weggeschaukelt und wer Firmenjubiläum hat, bekommt einen Helium-Luftballon geschenkt, wie früher beim Kindergeburtstag. Gerade erst hat Amazon in Seattle eine neue Filiale eröffnet, die eher an einen Regenwald erinnert als an ein Büro: Sie besteht aus drei Glaskugeln mit über 40.000 Pflanzen und künstlichen Wasserfällen an den Wänden.

The Spheres, der Bürokomplex von Amazon, eröffnete im Januar
The Spheres, der Bürokomplex von Amazon, eröffnete im Januar
Quelle: The Washington Post/Getty Images
Büro-Dschungel: Fast wie im Amazonas
Büro-Dschungel: Fast wie im Amazonas
Quelle: The Washington Post/Getty Images

Auch diesseits des Atlantiks lassen sich Unternehmen einiges einfallen, um ihre Mitarbeiter kreativ zu beflügeln: Zalando etwa pflanzte sich für die kurze Regeneration zwischendurch ein Gartenhaus in den Innenhof und bei SAP wurde der Besprechungsraum – Vorsicht Kalauer –  für Marathonsitzungen vorsorglich in eine Sportarena verwandelt. Bei trivago in Düsseldorf hat man sich unterdessen ein Bergpanorama an die Wände gepinselt, offenbar in der ambitionierten Hoffnung, die Angestellten so zu geistigen Höhenflügen zu stimulieren.

Schließlich passt es ja auch zu gut: Eine Generation, die auch mit Mitte 30 noch damit hadert, Verantwortung zu übernehmen, wird es zu schätzen wissen, sich nach einer missratenen Keynote ins Bällebad plumpsen zu lassen.

Die Erlebnis-Büros haben ein klares Ziel: Mehr Effizienz!

Oder etwa nicht!? Wirken die Maßnahmen denn überhaupt? Das ist schwierig festzustellen. Zum einen lässt sich Kreativität per se schlecht messen – und zum anderen ist kaum zu erwarten, dass insbesondere die global führenden Tech-Unternehmen sich von unabhängigen Forschern untersuchen lassen. Was es allerdings gibt, ist eine Studie aus Großbritannien: 1000 Büroarbeiter wurden danach befragt, was ihre Stimmung am Arbeitsplatz steigert. Das Ergebnis klingt für die Verfechter der neuen Vergnügungskultur wenig hoffnungsvoll: So gaben 86 Prozent der Befragten an, dass Spaßgeräte im Büro keinen Wert für sie haben. Ganze 25 Prozent zeigten sich davon sogar genervt.

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Und schlimmer noch: Das Büro als „Erlebniswelt“ setzt beide Seiten unter Druck. Die Arbeitgeber glauben, sich ständig neue, vermeintlich noch verrücktere Aktionen einfallen zu lassen, um die anspruchsvolle Belegschaft bei Laune zu halten – inzwischen werden sogar professionelle „Feel-Good-Manager“ engagiert, die gute Laune ins Büro bringen sollen. Die Arbeitnehmer wiederum sollten nicht so naiv sein und sich von den gestalterischen Spielereien blenden lassen. Denn letztlich geht es den Arbeitgebern um nichts anderes, als die Mitarbeiter deutlich länger als die üblichen acht Stunden an die Konzernwelt zu binden. Und somit auch die Produktivität zu steigern.

Unternehmen setzen lieber auf universelle Designklassiker

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Dass sich der Anwalt und seine Sekretärin in Sigmaringen oder die Angestellten einer Schraubenfirma aus dem Taunus demnächst also im Bällebad wiederfinden, halten Experten für unwahrscheinlich – dennoch lassen sich viele Firmen von den globalen Images und Einrichtungstrends inspirieren. So wurden in den meisten Büros in den letzten Jahren die Wände eingerissen, Großraumbüros haben die Vielraumbüros ersetzt, allenfalls werden zur Trennung mobile Glaswände montiert.

Und um ein kosmopolitisches Flair zu schaffen, machen die meisten Firmen um die Rutsche dann doch einen Bogen und vertrauen lieber auf die visuellen Codes, die weltweit und unisono als cool erachtet werden: Da werden beispielsweise der berühmte „Swan Chair“ von Arne Jacobsen von der Hotellobby in das Besprechungszimmer verpflanzt, um den großen Holztisch eine Schar von weißen Eames-Stühlen gruppiert oder munter überfärbte Vintage-Teppiche in den Eingangsbereich gelegt.

Der beliebte weiße Eames Chair und der rustikale Industrietisch
Der beliebte weiße Eames Chair und der rustikale Industrietisch
Quelle: jhinteriordesign.com / Foto Lincoln Barbour

„In der Bürowelt passiert gerade das, was mit dem Ikea-Siegeszug durch deutsche Wohnungen vor vier Jahrzehnten passiert ist. Damals wurde der Gelsenkirchener Barock entsorgt und es zogen Design, Purismus und Klarheit in die Wohnungen. Am besten hat dies jedoch in den Wohnungen funktioniert, in denen die Bewohner auch im Kopf soweit gewesen sind“, erklärt Timo Brehme, Gründer und Geschäftsführer der CSMM GmbH in München, die seit 15 Jahren Unternehmen im In- und Ausland bei der Gestaltung ihrer Büroräume berät. Will heißen: Laut Brehme müssen Unternehmenskultur und Büroeinrichtung miteinander konform gehen, mit übertriebener Coolness tun sich die Firmen keinen Gefallen.

Überall Eames? Das macht Unternehmen austauschbar

Im Gegenteil: Der ursprüngliche Wunsch, besonders individuell zu wirken, werde dadurch sogar konterkariert. Denn so passen sich die Unternehmen optisch immer mehr an – was fürs eigene Image alles andere als zuträglich ist. „Wenn Büros austauschbar werden, werden für Mitarbeiter auch die Unternehmen austauschbar, weil ihnen die Identifikationspunkte fehlen“, erklärt er. Er rät Firmen daher, bei Fragen der Büroeinrichtung zunächst die Unternehmenskultur zu durchleuchten und gezielt die Mitarbeiter- und deren Kommunikationsflüsse zu berücksichtigen. Professionelle Beratungsbüros achten etwa darauf, dass die Tische in der Höhe verstellbar sind oder die Leuchte am Arbeitsplatz im besten Fall dimmbar ist.

Letztlich gibt es aber auch noch eine andere Wahrheit: Auch die beste Büroausstattung kann nicht wirken, solange das interne Betriebsklima nicht stimmt. Werden die Menschen befragt, was ihnen an ihren Arbeitsplätzen am wichtigsten ist, nennen sie regelmäßig folgende Dinge: Weiterbildung, gute Aufstiegschancen, ein faires Gehalt und vor allem ein sicheres Arbeitsverhältnis - nicht das Bällebad in der Lobby.

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