Weinen mitten in uns

Am Sonntag ist Udo Jürgens überraschend bei einem Spaziergang im thurgauischen Gottlieben einem akuten Herzversagen erlegen. Im Kantonsspital Münsterlingen konnte nur sein Tod festgestellt werden.

Jürg Zbinden
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Udo Jürgens während eines Interviews in Gottlieben im Juli dieses Jahres. (Bild: Horst Ossinger / EPA)

Udo Jürgens während eines Interviews in Gottlieben im Juli dieses Jahres. (Bild: Horst Ossinger / EPA)

Es sind noch keine zwei Wochen her seit seinem Konzert im ausverkauften Zürcher Hallenstadion, und es mutet im Rückblick unheimlich tragisch an, dass der NZZ-Konzertbericht mit Rainer Maria Rilkes «Schlussstück» endete: «Der Tod ist gross. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.»

Udo Jürgens, der vor achtzig Jahren in der Kärntner Hauptstadt Klagenfurt als Udo Jürgen Bockelmann geboren wurde, war neben dem 2011 verstorbenen Peter Alexander der populärste Sänger im deutschsprachigen Raum. Schon als Sechzehnjähriger machte er auf sich aufmerksam mit dem Gewinn eines vom Österreichischen Rundfunk ausgeschriebenen Wettbewerbs für Komponisten, notabene als Jüngster von über 300 Teilnehmern. Das siegreiche Lied widmete sich dem einen grossen Thema nicht nur der Unterhaltungsmusik, der Liebe, und hiess «Je t'aime». Aufgewachsen in grossbürgerlichen Verhältnissen auf Schloss Ottmanach, konnte er auf einen weltberühmten Onkel mütterlicherseits verweisen, den Maler, Bildhauer und Lyriker Hans Arp. Das Klavierspiel brachte sich das Jungtalent selber bei, bevor es am Mozarteum in Salzburg ein ordentliches Studium der Musik absolvierte.

In den Anfängen seiner Karriere sorgte Udo Jürgens vor allem mit seinem kompositorischen Können für Furore. So verdankt ihm Shirley Bassey ihren Welthit «Reach for the Stars». Weniger bemerkenswert waren seine Auftritte auf der Kinoleinwand, doch in den fünfziger wie sechziger Jahren verstand es sich von selbst, dass gutaussehende Schlagerstars fürs Kino weiterverwertet wurden. Filmtitel wie «Unsere tollen Tanten», «Unsere tollen Nichten» oder «Unsere tollen Tanten in der Südsee» versprachen kein Autorenkino, die Produzenten beschränkten sich auf Jux und Tollerei. 1965 spielte jede deutsche Musikbox seinen Schlager «17 Jahr', blondes Haar, so stand sie vor mir . . .», im Jahr darauf triumphierte Udo Jürgens nach dreimaliger Teilnahme als erster Österreicher beim Grand Prix d'Eurovision de la Chanson, dem heutigen Eurovision Song Contest, und wieder trug ihn eine ebenso schlichte wie eingängige Liebeserklärung zum Sieg: «Merci, Chérie».

Pepe Lienhard und Orchester

Seine ganz grosse Zeit war die goldene Zeit der Samstagabendshows, als noch deutschsprachige Entertainer die Fernsehbühnen beherrschten: Peter Frankenfeld, Hans Rosenthal, Harald Juhnke, Peter Alexander oder Caterina Valente, die wie Udo Jürgens die Schweiz zur Wahlheimat erkor. Die goldenen Jahre waren geprägt von Minne und Wohlgefallen, gigantischen Showbühnen, über welche die Beine der Kessler-Zwillinge und von Marlène Charell wirbelten – und nicht zuletzt vom Sound der Orchester: von James Last, Peter Herbolzheimer, Max Greger und selbstverständlich jenem von Pepe Lienhard. 1977 übernahm Pepe Lienhards Manager Freddy Burger auch das Management von Udo Jürgens, und Pepe Lienhard, der auch die US-Showgrössen Frank Sinatra und Sammy Davis jr. auf Tourneen begleitete, hielt mit seinem Orchester Udo Jürgens ab 1982 ständig den Rücken frei.

Kritische Stimme

Es waren aber noch die siebziger Jahre, in denen die gesellschaftskritische Stimme von Udo Jürgens gegen die Harmonieseligkeit ansang, hintersinnig bei «Der Teufel hat den Schnaps gemacht» (1973), wehmütig bei «Griechischer Wein» (1974), wider die Heuchler bei «Ein ehrenwertes Haus» (1975), gegen die Völlerei bei «Aber bitte mit Sahne» (1976) oder das Sich-Verabschieden aufs Altenteil bei «Mit 66 Jahren» (1978). Ein veritabler Ohrwurm der harmlosen Sorte war Udo Jürgens' Lied der ARD-Fernsehlotterie, «Zeig mir den Platz an der Sonne» von 1971. Als finanziell am einträglichsten erwies sich eine Einspielung mit der deutschen Fussball-Nationalelf, «Buenas días, Argentina» (1978).

Sogar Udo Jürgens hatte die eine oder andere Durststrecke durchzustehen, bloss, wenn er in den Hitparaden gerade nicht präsent war, hielt ihm das Konzertpublikum die Treue. Einen der legendärsten und dauerhaftesten Erfolge vermochte er in absentia zu verbuchen. Das Musical «Ich war noch niemals in New York» feierte im Dezember 2007 Premiere, es lebte und lebt weiter fort von seinen Kompositionen.

Das auf den 8. März des kommenden Jahres anberaumte Konzert im Hallenstadion wird der österreichische Grandseigneur, der 2007 die Schweizer Staatsbürgerschaft annahm, nicht mehr geben können. «Adieu, Adieu, Adieu // Deine Tränen tun weh, so weh, so weh.»

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