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Der wahre Grund für die Misere moderner Architektur

Stv. Ressortleiter Meinung
Wer braucht die Wellblechhütten, die sich Avantgarde nennen? Und warum wollen die wenigsten in solchen Objekten wohnen? Wer menschenfreundlich bauen will, sollte aufhören, alles neu zu denken.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gab es praktisch keine schlechte Architektur. Sicher: Bei den ägyptischen Pyramiden stand der Aufwand in keinem Verhältnis zum allgemeinen Nutzen, so etwas würde im Wettbewerb „Soziale Stadt“ keinen Preis holen. Im Barock gab es Exzesse der Dekoration, genauso im späten Historismus. Aber nichts davon würde man heute abreißen.

Selbst die Mietskasernen und ersten Arbeitersiedlungen vom Ende des 19. Jahrhunderts waren so gut gebaut, dass sie bis heute begehrt sind. Sogar aus den Gefängnissen jener Zeit lassen sich attraktive Wohnungen machen – während manche neuen Luxusapartments heute aussehen wie Gefängnisse.

Die Erfindung der schlechten Architektur

Von schlechter Architektur kann man eigentlich erst seit dem großen Bruch am Anfang des 20. Jahrhunderts sprechen. Die Baumeister der Moderne setzten auf die neuen Materialien Beton, Stahl und Glas und auf Flachdächer. Zugleich wollten sie mit ihren Bauten den Weg in eine bessere Welt für alle Menschen bereiten. Doch sie produzierten mehr Gebäudeschäden, als es jemals zuvor gegeben hatte.

Schon das Bauhaus in Dessau von Walter Gropius machte Probleme: Im Sommer war es darin zu heiß, im Winter zu kalt, und das Flachdach war nicht dicht zu kriegen. Ausgerechnet in den 60er- und 70er-Jahren, als das Bauen zum Wohle der Bürger seinen Höhepunkt erreichen sollte, entstanden die unwirtlichsten Stadtteile. Dass man Sozialbausiedlungen mit Preisen auszeichnet und keine zwei Jahrzehnte später wieder in die Luft sprengt, das bleibt eine Errungenschaft, die die Nachkriegsmoderne exklusiv für sich hat.

Zu viele Kisten aus Beton

Und wer jetzt „Berliner Philharmonie!“ einwirft oder „Corbusier! Ronchamp!“, der benennt gewiss zwei architektonische Meisterwerke des 20. Jahrhunderts. Aber was für einen verschwindend kleinen Anteil bilden solche Solitärbauten innerhalb der schier unüberschaubaren, globalen Architekturlandschaft aus ärmlichen Kisten, schematischer Stapelware und bröckelndem Beton.

„Mit all seinem Aufwand an Erfindungskraft und materiellen Mitteln hat es das 20. Jahrhundert nicht erreicht, der Welt, in der wir leben, eine menschenfreundlichere Gestalt zu geben“, resümierte schon 1983 der Architekturpublizist Wolfgang Pehnt in seinem Buch „Das Ende der Zuversicht“.

Dabei waren die Architekten der Moderne genau mit diesem Ziel angetreten: endlich eine menschenfreundlichere Welt für alle zu erbauen. Was sie einst erbittert bekämpften, nämlich jene dichten, gemischten, ornamentreichen Stadtviertel, die vor 1900 entstanden – genau diese sind heute die attraktivsten Quartiere jeder Metropole.

Hütet Euch vor denen, die das Wohnen „neu denken“

Man muss sich das Debakel der modernen Architektur bewusst machen, weil es der Hintergrund ist, vor dem bis heute die Debatten über zeitgenössisches Bauen geführt werden. Das Gros der Architekten und Kritiker hat zur modernen Architektur ein Verhältnis wie die Linkspartei zum Sozialismus: Es war nicht alles schlecht, es wurden Fehler gemacht, und jetzt müssen die Ideen nur einmal richtig umgesetzt werden. Man müsse sie heute „neu denken“.

Als wären unsere architektonischen Müllhalden nicht voll von Häusern, die entstanden, weil man alle zehn Jahre das Wohnen „neu denken“ wollte. Die wahre Herausforderung ist doch, erst einmal ganz bescheiden zu versuchen, auch nur halbwegs an die Qualitäten der vormodernen Stadtviertel und Häuser heranzukommen.

Niklas Maak: Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen. Hanser, München. 320 Seiten, 21,90 Euro.
Niklas Maak: Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen. Hanser, München. 320 Seiten, 21,90 Euro.
Quelle: Hanser Verlag
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Ins Lager der „Neudenker“ gehört der „FAZ“-Architekturkritiker Niklas Maak, der in seinem neuen Buch „Wohnkomplex“ zu begründen versucht, „warum wir andere Häuser brauchen“. Nichts Überholtes wie einen Altbau, in dem er selbst wohnt, sondern etwas vollkommen Neues: „Was könnte ein Platz, ein Haus, eine Wohnung jenseits der Formen sein, die wir kennen?“

Auf der Grundlage vieler seiner publizierten Essays und Kritiken hat er eine Streitschrift gegen das gebaute Mittelmaß verfasst. Während man dem Autor bei seiner flott geschriebenen Darstellung der aktuellen Malaise noch halbwegs folgen kann, lassen einen die von ihm gepriesenen Alternativen ratlos zurück.

Der Konzept-Container in Tokio

Etwa das Einfamilienhaus in Tokio von Sou Fujimoto, „das eigentlich nur aus Fensterrahmen besteht“. Der Architekt „dekonstruiert den Begriff des Geschosses“ und schraubt stattdessen einen „Kletterfelsen“ von mehr als 20 Halb- und Viertel-Etagen zusammen. Dass darauf bisher noch niemand gekommen ist! Diese Kopfgeburt hat Maak auch auf sein Buchcover gehoben, das Titelfoto zeigt, wie Menschen auf den Kanten der Kästchen am Abgrund hocken. Hoffentlich sind sie angeleint.

Wie kann man glauben, dass so ein Humbug, der den elementarsten Wohnbedürfnissen zuwiderläuft, wegweisend sein könnte? Oder das hierzulande viel publizierte Stadthaus von Arno Brandlhuber in Berlin-Mitte: ein „Betonskelett mit günstigen Polykarbonat-Steckplatten“ und anderem „Baumarktmaterial“ wie Maschendrahtzaun für die Treppengeländer. So billig gemacht, dass der Bauherr das Erdgeschoss günstig an „junge Galeristen“ vermieten kann.

So sieht also die Zukunft aus: Wellblechhütten für die gebildeten Stände. Zwei, drei von solchen Häusern, und im Nu ist jedes noch halbwegs intakte Straßenbild ruiniert.

Tradition wurde totgeschwiegen

Das Gegengift zu solchen popkulturell unterfütterten Verstiegenheiten hat jüngst der Bauhistoriker Wolfgang Sonne vorgelegt, der am wichtigsten Thinktank für traditionelle Architektur und Stadtplanung hierzulande lehrt, dem Institut für Stadtbaukunst der Universität Dortmund. Sein Buch „Urbanität und Dichte“ sucht den Ausweg aus der Misere der zeitgenössischen Architektur in der Vergangenheit: im traditionsorientierten Städtebau des 20. Jahrhunderts, den es jenseits der avantgardeseligen Moderne auch gab, der aber von der Fachwelt lange als reaktionär abgelehnt oder totgeschwiegen wurde.

Wolfgang Sonne: Urbanität und Dichte im Städtebau des 20. Jahrhunderts. DOM publishers, Berlin. 360 Seiten, 98 Euro.
Wolfgang Sonne: Urbanität und Dichte im Städtebau des 20. Jahrhunderts. DOM publishers, Berlin. 360 Seiten, 98 Euro.
Quelle: Dom Publishers

In jahrelanger Forschungsarbeit hat Wolfgang Sonne eine Vielzahl von Beispielen aus ganz Europa und den USA zusammengetragen, von 1900 bis in die Gegenwart. Es war eine Moderne, die bei allen notwendigen Veränderungen festhielt am Ideal von Urbanität und Dichte, am Muster aus Straßenfluchten und Plätzen, und sie nahm Rücksicht auf lokale Bautraditionen.

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Damit belegt Sonne, dass es keineswegs der „allgemeine Zeitgeist“ war, der uns die ganzen menschenfeindlichen Hässlichkeiten der Nachkriegsmoderne bescherte, sondern die Vorherrschaft einer Architekten- und Planerkaste, die stolz darauf war, alles beständig neu zu denken, getreu dem Motto des großen Mauer-Architekten Erich Honecker: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“

Coffeetable versus Ideenbuch

Nicht zuletzt die Bildersprache beider Bücher zeigt den unterschiedlichen Zugang zu Architektur. Maak faszinieren am Ende die Ideen und Theorien hinter den Bauwerken mehr als diese selbst – bei ihm sind die Beispiele in winzigen Schwarz-Weiß-Abbildungen an den Rand gedrängt.

In Sonnes prächtig illustriertem Band tritt die Architektur plastisch und manchmal bis ins Detail erkennbar hervor. Es ist ein sinnlicher Genuss, zu sehen, wie viel nachhaltige Substanz und Schönheit die traditionsorientierte Moderne geschaffen hat. Wem Sonne aus dem Herzen spricht, der sollte sich auch das jüngste, von Dieter Eckert herausgebene Büchlein der Grundlagen-Reihe bei DOM publishers ins Regal stellen. Es versammelt exzellente Texte von fünf Vordenkern des neuen Traditionalismus in Deutschland.

Höchst unterhaltsam liest sich darin eine Premiere: Der Berliner Klassizist Hans Kollhoff, der mit seinem Klinkerturm das beste Haus am Potsdamer Platz baute, dreht erstmals den Spieß um und nimmt die Texte führender deutscher Architekturkritiker und deren „aufgeblasenes Kunstgeschwätz“ auseinander, das nicht wahrhaben wolle, „dass die Stadt keine Galerie für zeitgenössische Kunst ist“.

Der Jargon der Architekturpublizistik

Und der Bauhistoriker Fritz Neumeyer sekundiert, indem er sich über das theoretische Abrakadabra in der Architekturpublizistik lustig macht. Dass man dieses schon in der Frühzeit der Moderne findet, belegt Neumeyer mit einem Fundstück aus dem Jahre 1941. Für sein einflussreiches Werk „Space, Time and Architecture“ hatte Sigfried Giedion, einer der Vordenker der Bewegung, sich abgemüht, eine Verbindung herzustellen zwischen dem Kubismus, einer neuen Raumauffassung und Albert Einsteins Relativitätstheorie.

Der Architekt Erich Mendelsohn schickte dem befreundeten Einstein den entsprechenden Auszug aus Giedions Buch. Worauf der Physik-Nobelpreisträger ihm belustigt zurückschrieb: „Es ist einfach Klug-Scheißerei ohne jede vernünftige Basis!

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