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Gipfel in Tallinn Wie die EU zur Digitalmacht werden soll

Europa, schöne neue Digitalwelt? Beim Gipfeltreffen in Tallinn wollen die EU-Staats- und Regierungschefs den Weg in die "Gigabit-Gesellschaft" bahnen. Deutschland hat mit Frankreich, Spanien und Italien schon einen Plan entworfen.
Verteilerpunkt mit Glasfaserkabeln

Verteilerpunkt mit Glasfaserkabeln

Foto: Daniel Reinhardt/ dpa

Emmanuel Macron hat wieder einmal jemandem die Show gestohlen, diesmal ist Estland sein Opfer.

Vor dem informellen EU-Gipfel in Tallinn redet kaum jemand über etwas anderes als die jüngste Rede des französischen Präsidenten, in der er eine ambitionierte Vision von der Zukunft der EU präsentiert hat - und wie die anderen Staats- und Regierungschefs, vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel, am Donnerstagabend bei gemeinsamen Dinner reagieren werden.

Das eigentliche Thema des Gipfels am Freitag trat zuletzt in den Hintergrund: die Digitalisierung des Kontinents, eines der wichtigsten Zukunftsthemen, wenn nicht gar das wichtigste überhaupt. Wie sich die Wirtschaft der EU entwickeln wird, wie sicher und wohlhabend ihre Bewohner sein werden, wie sich die Union im Konkurrenzkampf mit anderen Wirtschaftsmächten schlagen wird - alles hängt entscheidend davon ab, wie die Digitalisierung verläuft.

"Europa darf nicht zurückfallen", heißt es in einem Positionspapier, das Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien vor dem Gipfel eingebracht haben. In dem fünfseitigen Dokument schlagen die vier Staaten eine Dreifach-Strategie vor.

  • Thema Nummer eins ist die Besteuerung von Internet-Unternehmen. Sie stellen die Finanzbehörden der Staaten vor ein Problem: Üblicherweise werden Firmen dort besteuert, wo sie physisch sitzen. Internet-Unternehmen aber bieten ihre Dienste oft weitgehend unabhängig von staatlichen Grenzen an. Die Folge: Internationale Konzerne suchen sich oft Standorte in Steueroasen, wo sie auf die gigantischen Gewinne, die sie in Hochsteuerländern scheffeln, kaum Abgaben zahlen.

Die Regierungen in Berlin, Paris, Madrid und Rom fordern nun eine "tiefgreifende Überprüfung des derzeitigen Steuersystems", um für mehr Fairness zu sorgen. So sollen Inhalte, Waren oder Dienstleistungen - egal, ob digital oder physisch - der Mehrwertsteuer jenes Staats unterliegen, in dem sie konsumiert werden. Andere Möglichkeiten, etwa die Besteuerung von Umsätzen statt Gewinnen, hatte erst vor wenigen Tagen die EU-Kommission vorgestellt.

"Der Vorstoß für eine faire Besteuerung von Digitalkonzernen ist richtig", meint etwa der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. Zudem wäre es "sofort umsetzbar", die Definition einer Firmenniederlassung "an das digitale Zeitalter anzupassen". Sinnvoll sei auch eine europäische Digitalaufsicht in Anlehnung an die Bankenaufsicht. "Damit könnte die EU den Netzgiganten wie Google und Co. die Stirn bieten", so Giegold.

  • Punkt zwei ist der Weg in die "Gigabit-Gesellschaft". Er soll vor allem durch den Ausbau der digitalen Infrastruktur gelingen. Bis zum Jahr 2025, so das Ziel der vier Länder, soll die EU ein "weltweit führendes Glasfaser- und 5G-Netz" besitzen, das auch die Bewohner ländlicher Gegenden mit schnellen Datenzugängen versorgt. Auch sollen europäische Unternehmen gestärkt werden. Zwar biete die EU kleinen Start-Ups gute Bedingungen. In den dann folgenden Phasen sei sie aber insbesondere gegenüber den USA schwach aufgestellt. Das Ergebnis ist bekannt: Facebook, Twitter, Google, eBay und Amazon sind eben keine EU-Unternehmen.

Auch wollen die vier Staaten digitale Behördengänge erleichtern. Während dies in skandinavischen und baltischen Ländern längst selbstverständlich ist, liegt Deutschland in dieser Disziplin im EU-Vergleich auf Rang 23. Im "Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft" (Desi ) der EU-Kommission kommt Deutschland immerhin auf den elften Platz.

  • Der dritte Punkt ist ein sicheres Umfeld, in dem Bürger, Unternehmen und Regierungen ihre Rechte geschützt ausüben können. "Damit wird das Vertrauen in die digitale Welt gestärkt", heißt es in dem Papier. Gemeint ist vor allem der Schutz persönlicher Daten, von Urheber- und Bürgerrechten sowie der Privatsphäre.

Allerdings sind zahlreiche Formulierungen in dem Papier reichlich vage. Soziale Medien etwa sollten lediglich dazu "ermahnt" werden, ihr Beschwerde-Management zu verbessern, Hassbeiträge schneller zu entfernen und die Zusammenarbeit mit den Behörden zu verstärken. Über den Abfluss von Daten in außereuropäische Staaten - die USA dürften hier in erster Linie gemeint sein - heißt es lediglich, es gebe "wichtige Aspekte, die tiefe Überlegungen erfordern".

Gipfel-Gastgeber Estland, das als digitales Musterland gilt, will unterdessen schon eine fünfte Grundfreiheit der EU einführen: Neben der Freizügigkeit für Arbeitnehmer, Kapital, Waren und Dienstleistungen soll es künftig auch eine für Daten geben. In dem baltischen Land denkt man gar darüber nach, den Bürgern alle staatlichen Leistungen automatisch zuzuteilen, ohne dass sie erst beantragt werden müssen. Die Daten habe man schließlich ohnehin.


Zusammengefasst: Die EU soll als Digitalmacht zu den USA aufschließen - das fordern Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien in einem Positionspapier vor einem Gipfeltreffen in Estland. Das Dokument zeigt allerdings zugleich, wo die Schwächen Europas liegen - und wie schwierig es werden wird, sie abzustellen.