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West-Nil-Virus

Ein Erreger erobert Europa

Das West-Nil-Virus fasst in Europa zunehmend Fuß. Es verbreitet sich nicht nur geografisch, sondern löst auch deutlich mehr Erkrankungen aus als in den Vorjahren. Woran erkennt man eine Infektion und wie gefährlich ist sie?
Christina Hohmann-Jeddi
25.09.2018  08:00 Uhr

In diesem Jahr sind in der Europäischen Union bereits mehr als 1100 Personen an West-Nil-Fieber erkrankt. 115 sind an der Infektion gestorben, meldet die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC. Am stärksten betroffen sind die Länder Italien, Griechenland, Serbien, Rumänien und Ungarn. Im Vergleich zu den Vorjahren hätten sich die Erkrankungszahlen mehr als verdreifacht, so die ECDC. In nur einer Woche im August seien mehr Infektionen mit dem West-Nil-Virus (WNV) gemeldet worden als in den gesamten Jahren 2017 oder 2016.

Schon im August hatte die Behörde darauf hingewiesen, dass in diesem Jahr eine starke Saison zu erwarten sei. Diese reicht in Europa von Juli bis Oktober. In diesem Jahr habe die WNV-Saison besonders früh und mit einer großen Zahl an Infektionen begonnen, was auf eine starke Zirkulation des Virus hinweise. Die ECDC vermutete daher, dass sich der Erreger auch in Regionen ausbreiten würde, in denen bislang noch keine lokal erworbenen (autochthonen) Infektionen verzeichnet wurden. Das ist auch eingetroffen: Aus sechs Regionen in Kroatien, Slowenien, Italien und Griechenland wurden 2018 erstmals autochthone WNV-Infektionen gemeldet. Auch in Deutschland wurde der Erreger in diesem Jahr erstmals nachgewiesen, allerdings bislang nur bei Vögeln. Infektionen beim Menschen sind aus Deutschland bislang keine bekannt.

Von Vögeln auf Menschen

Das West-Nil-Virus gehört zur Familie der Flaviviridae, zu der auch das Dengue-, Gelbfieber- und Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus zählen. Die von ihm ausgelöste Erkrankung, das West-Nil-Fieber, ist eine auf allen Kontinenten vorkommende Zoonose. Der Hauptwirt sind Vögel. Von diesen kann das Virus über verschiedene Stechmücken-Arten vor allem der Gattung Culex auf weitere Vögel, aber auch auf den Menschen und auf Pferde übertragen werden. In der Natur zirkuliert WNV hauptsächlich in einem Vogel-Stechmücken-Vogel-Kreislauf.

Vögel stellen somit das Hauptreservoir des Erregers dar. Infizierte Tiere erkranken in der Regel nicht, heißt es in einem Informationsblatt des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) in Greifswald. Ausnahmen sind Sperlingsvögel, vor allem Rabenvögel, aber auch einige Greifvögel- und Eulenarten, die schwer erkranken und an der Infektion sterben können. Das West-Nil-Virus kann auch zahlreiche Säugetierarten (wie Hund, Katze, Ziege, Schaf, Fledermaus, Eichhörnchen und Kaninchen) infizieren, ohne sich in diesen stark vermehren zu können, informiert das FLI. Von den Säugetieren entwickeln nur das Pferd und der Mensch klinische Symptome. Eine Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch ist durch Organtransplantation, durch Bluttransfusionen und in der Schwangerschaft von der Mutter auf das Kind möglich.

Entdeckt in Uganda

Erstmals wurde das Virus 1937 in der Region West-Nil in Uganda entdeckt. Seitdem hat es immer wieder zu Ausbrüchen von fieberhaften Erkrankungen unter anderem in Israel, Ägypten, Indien, Frankreich und Südafrika geführt. Seit Mitte der 1990er-Jahre sind die Zahl und das Ausmaß der Ausbrüche gestiegen und auch die räumliche Verbreitung hat zugenommen. 1999 gelangte der Erreger (vermutlich in einer infizierten Mücke an Bord eines Flugzeugs) über den Atlantik und wurde erstmals in den USA nachgewiesen. Er verursachte einen Ausbruch in New York City, der durch eine große Zahl von toten Vögeln im Central Park auffiel. Innerhalb von drei Jahren konnte sich der neu eingetroffene Erreger in den gesamten USA sowie bis nach Kanada und Mexiko ausbreiten. Der stärkste Ausbruch wurde bislang im Jahr 2015 verzeichnet, in dessen Verlauf 5674 Erkrankungen und 286 Todesfälle in den USA auftraten.

Symptome einer Infektion

Die meisten Infektionen (etwa 80 Prozent) verlaufen asymptomatisch. Nur 20 Prozent der Infizierten entwickeln nach einer Latenzzeit von 2 bis 14 Tagen unspezifische Krankheitszeichen wie Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Rückenschmerzen, Abgeschlagenheit und Lymphknotenschwellungen. Der Verlauf der Erkrankung kann biphasisch sein. Etwa die Hälfte der Erkrankten entwickelt einen blassen Hautausschlag, der sich vom Stamm zum Kopf und zu den Gliedmaßen ausbreitet. Bei einem von 150 Patienten greift die Infektion auf das Zentralnervensystem über und kann eine Meningitis oder Enzephalitis verursachen. Ein hohes Risiko hierfür haben ältere Patienten und chronisch Kranke. Mögliche Symptome der ZNS-Komplikation sind mentale Veränderungen, Muskelschwäche, schlaffe Lähmungen, Ataxie oder etwa epileptische Anfälle.

Das West-Nil-Fieber heilt in der Regel von selbst aus, bei Patienten mit Enzephalitis treten allerdings relativ häufig Spätfolgen auf. Die Letalität bei Enzephalitis beträgt 15 bis 40 Prozent. West-Nil-Fieber wird symptomatisch behandelt, eine kausale Therapie existiert nicht. Auch Impfstoffe stehen bislang nicht zur Verfügung.

Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) ist zum Nachweis einer Infektion der West-Nil-Virus-ELISA die Methode der Wahl. Diese detektiert vorhandene IgM- und IgG-Antikörper gegen den Erreger. Allerdings könne es hier zu Kreuzreaktionen durch andere Flavivirusinfektionen oder Impfungen kommen, etwa bei FSME, Gelbfieber, Dengue oder Usutu. Sichererer ist der direkte Nachweis des Virusgenoms mittels PCR.

In Deutschland angekommen

Das West-Nil-Virus wurde in diesem Jahr erstmals in Vögeln in Deutschland gefunden: Zuerst im August bei einem Bartkauz in Halle, später bei zwei weiteren Vögeln in Sachsen und einem in Bayern. Dass der Erreger schon seit Längerem unentdeckt in Deutschland zwischen Wildvögeln kursiert, hält das FLI aber für unwahrscheinlich. Es führt seit einigen Jahren ein Wildvogel-Monitoring auf zoonotische Viruserkrankungen durch, bei dem eingeschickte tote Vögel untersucht werden. Bei keinem der Tiere wurde bislang das West-Nil-Virus entdeckt.

Wer tote Vögel entdeckt, sollte diese nie mit bloßen Händen anfassen, rät das Institut. Besonders wenn mehrere tote Wildvögel an einer Stelle gefunden werden, sollte man darüber die örtlichen Veterinärbehörden informieren. Man kann die Tiere aber auch selbst einschicken, wobei man mithilfe von Einmal-Handschuhen die Vögel in eine kleine Gefrierplastiktüte packt, diese verschließt und dann und umgehend zum FLI sendet oder beim zuständigen Veterinäramt abgibt.

Fotos: Shutterstock/Henner Damke (oben), CDC/Cynthia Goldsmith (unten) 

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