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Wie die Wirtschaft an den Flüchtlingen verdient

Feldbetten in einer Sporthalle an der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in Braunschweig: Hersteller solcher Betten bekommen derzeit im Wochentakt Großaufträge Feldbetten in einer Sporthalle an der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in Braunschweig: Hersteller solcher Betten bekommen derzeit im Wochentakt Großaufträge
Feldbetten in einer Sporthalle an der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in Braunschweig: Hersteller solcher Betten bekommen derzeit im Wochentakt Großaufträge
Quelle: dpa/jst fdt jol
Die Unterbringung Hunderttausender Flüchtlinge ist ein humanitärer Kraftakt. Hinter den Kulissen läuft eine riesige Beschaffungsmaschine, an der viele Hersteller gut verdienen können.

Eckige Klötze in Grasgrün, Kanariengelb und Königsblau, bunt zusammengesteckt zu einem einzigen großen Quader: Die Computersimulation aus der Berliner Sozialbehörde ist äußerst schlicht gehalten. Doch tatsächlich sollen in solchen „Modulen“ schon bald echte Menschen wohnen.

Sechs oder sieben Containersiedlungen sollen in der Hauptstadt kurzfristig aus dem Boden gestampft werden. Sie sollen zweitausend Flüchtlingen Obdach bieten. Insgesamt 1650 Container sollen dafür zwei oder drei Lagen hoch zu gigantischen Blechbauten verschraubt werden. Schlafzimmer, Gemeinschaftsräume, Küchen, Toiletten – alles in Containern. Binnen weniger Wochen schlüsselfertig aufgestellt. Willkommen in Legoland.

Die Container-Kieze von Berlin sind als eine Art Befreiungsschlag gedacht, mit dem die „Taskforce Notunterbringung“ wieder einigermaßen Herr der Lage werden will. Allein im September kamen 1300 Asylsuchende in die Hauptstadt.

Viel zu viele für die bestehenden Aufnahmekapazitäten. Nun sucht man eine Firma, die in der Lage ist, aus dem Stand Hunderte von wärmegedämmten Wohnboxen zu liefern. 17 Unternehmen aus ganz Europa haben Angebote eingereicht. Sie konkurrieren um einen Auftrag im zweistelligen Millionenbereich.

Bestehende Marktkapazitäten reichen nie und nimmer

Aufgrund von Krisen und Konflikten in Syrien und anderswo suchen in diesem Jahr so viele Flüchtlinge Schutz in Deutschland wie seit mehr als 20 Jahren nicht. Bundesweit wird bis zum Jahresende mit einem Zustrom von 200.000 Menschen gerechnet, 73.000 mehr als im Jahr zuvor.

Erstaufnahme und Unterbringung ist für die Länder und Kommunen eine gewaltige logistische und finanzielle Herausforderung. Für einige Wirtschaftszweige ist sie aber auch eine lukrative Sache: Die Hersteller von Containern, Feldbetten und Schlafsäcken verdienen, Zwischenhändler und findige Firmengründer ebenso.

„Wir haben allein in den letzten Wochen von Kommunen Anfragen für fast 15.000 Quadratmeter Wohnfläche bekommen“, berichtet der Vertriebsmitarbeiter eines Containeranbieters in Baden-Württemberg. Das Unternehmen zählt zu den größten Herstellern hochwertiger Wohncontainer in Deutschland und liefert diese an Krankenhäuser, Kindergärten oder Gastronomieketten.

Ex-Wachmann packt aus

Offenbar bezeichneten sie sich selber als „SS-Trupp“: Ein ehemaliger Wachmann schildert erschütternde Details aus dem Flüchtlingsheim Burbach. Hier wurden Flüchtlinge von der Security misshandelt.

Quelle: N24

Nun stelle sich die Marketingabteilung unter Hochdruck auf die Erfordernisse eines neuen Marktes ein, dessen Potenzial groß ist. 800 bis 1000 Boxen werden von dem Hersteller normalerweise innerhalb eines Jahres gefertigt – allein die Anfragen der vergangenen Wochen aber würden reichen, um den Jahresabsatz zu verdoppeln.

Die bestehenden Marktkapazitäten reichen nie und nimmer, um die Nachfrage zu decken, sagt der Vertriebsmann, der auf eine Namensnennung lieber verzichten will, weil das Thema negativ konnotiert sei. Ein gutes Geschäft ist es dennoch. „Was wir jetzt sehen, ist erst die Spitze des Eisberges, da kommt noch einiges auf uns zu.“

„Unter Hochdruck produziert“

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Im Kreis Miesbach am schönen Tegernsee stehen seit diesem Sommer bereits zwei Container-Kieze im Kleinformat. 400 Flüchtlinge wird der Landkreis bis zum Jahresende aufnehmen. Knapp hundert von ihnen werden in 70 Stahlboxen untergebracht. Am Standort Holzkirchen versteckte die Kommune die in der Realität nicht bauklotzbunten, sondern mausgrauen Boxen hinter einem eigens angelegten Lärmschutzwall.

Geliefert wurden die Module von der Firma FAGSI, die zu den Größten der Branche zählt. In den Werken im oberbergischen Morsbach und in der Nähe von Dresden werde „unter Hochdruck produziert“, sagt ein für kommunale Aufträge zuständiger Mitarbeiter. „Die Anfragen kommen von überall her. Wir haben in den vergangenen Wochen viele Projekte umgesetzt, das Thema scheint den Kommunen unter den Nägeln zu brennen.“

Die Bereitstellung von Flüchtlingsunterkünften ist aufwendig und muss schnell gehen. Doch damit ist es nicht getan. Um sie bewohnbar zu machen, braucht es Betten, Schlafsäcke, Hygieneartikel – und das kurzfristig für viele Tausend Menschen. Für die Bewältigung der ersten Welle haben sich viele Bundesländer aus den Vorhaltungen für den Katastrophenschutz bedient.

Allein das Rote Kreuz habe für die Erweiterung der Erstaufnahmekapazitäten bereits 2600 Betten und 3500 Schlafsäcke oder Decken bereitgestellt, berichtet Jörg Max Haas, der als Sachgebietsleiter Zivil- und Katastrophenschutz die Verteilung der Hilfsgüter im Bundesgebiet koordiniert. Zugleich laufe die Ersatzbeschaffung auf Hochtouren. Mit Kostenübernahmeerklärungen der Länder im Gepäck kaufen die Hilfsorganisationen derzeit große Mengen an Feldbetten und Schlafsäcken an.

Nachfrage etwa 30 Prozent über dem Üblichen

„Wir starten in zwei Wochen mit der Produktion von 2000 Feldbetten“, heißt es bei der Firma Intertech in Erkelenz. Bestimmt seien sie für den Katastrophenschutz in Hessen, wo die Verantwortlichen bereits angekündigt hätten, dass aufgrund des großen Bedarfs demnächst noch einmal genauso viele benötigt würden.

Bei den Betten handelt es sich um einfache Aluminiumgestelle mit einer gespannten Plane anstelle einer Matratze. Ein solches Bett kostet etwa 80 Euro und ist zusammengefaltet kaum so groß wie ein Geigenkasten. Haltbar, billig und leicht zu transportieren, das sind derzeit die zentralen Anforderungen.

Während die Lager der Hilfsorganisationen leer geräumt sind, hat die Max Fuchs AG im niederbayerischen Freyung nach eigenen Angaben noch volle Bestände, darunter mehr als zehntausend Feldbetten. Allerdings könne es damit auch schnell zu Ende sein, berichtet ein Mitarbeiter, denn zuletzt kämen im Wochentakt Großbestellungen. 5000 Isomatten hier, 2000 Betten dort. Die Nachfrage für entsprechende Produkte liege etwa 30 Prozent über dem Üblichen, bestätigt die Firma und erklärt: „Wir rechnen mit einer anhaltenden Tendenz.“

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Tatsächlich übersteigt der kurzfristige Bedarf derzeit die Kapazitäten selbst großer Anbieter. So berichtet ein österreichischer Großhändler, ihm sei gerade erst ein Auftrag aus Süddeutschland durch die Lappen gegangen, weil er nicht in der Lage war, ad hoc mehrere Tausend identischer Schlafsäcke zu liefern. Er habe mittlerweile mit Produzenten in Fernost gesprochen, wie kurzfristig größere Mengen gefertigt werden können. „Dort war das Thema schon bekannt.“

Schlafsäcke aus Promotionaktion eines Handelskonzerns

Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis in China einige Container voller Billigschlafsäcke auf die Reise nach Europa geschickt werden. Bis dahin blüht das Vermittlungsgeschäft. Wer weiß, wo sich knappe Ware kurzfristig organisieren lässt, findet dankbare Abnehmer. So konnte der Inhaber einer erst vor ein paar Tagen gegründeten Firma in der Oberpfalz gleich 3000 Mumienschlafsäcke an eine große Hilfsorganisation verhökern.

Die Ware aus reinem Polyester ist in puncto Wärmeisolation und Atmungsaktivität alles andere als der letzte Schrei. Doch die Säcke sind billig und in großer Zahl vorhanden, denn sie stammen aus einer Promotionaktion eines großen Handelskonzerns.

Asylbewerber sollen in Baumarkt

Die Flüchtlingsaufnahme wird mehr und mehr zu einem Problem, dessen Lösung es neuer Ideen bedarf. Grüne fordern einen Flüchtlingsgipfel, Asylbewerber sollen in Köln in einen alten Baumarkt ziehen.

Quelle: N24

„Es spricht sich offenbar herum, dass ich große Mengen liefern kann. Mich erreichen Anfragen aus allen möglichen Ländern“, sagt der Mann, der seinen Namen im Zusammenhang mit dem Vermittlungsgeschäft auf keinen Fall in der Zeitung wiederfinden möchte. Aber erzählen tut er gern. Er habe gute Kontakte zu mehreren Hilfsorganisationen, rühmt sich der Unternehmensgründer, der seine genaue Rolle bei den Geschäften im Ungefähren lässt.

Seine Stärke sei es, zu wissen, wo man welche Ware herbekommt. So habe er zum Beispiel auch bei den großen Hochwassern der vergangenen Jahre kurzfristig Decken auftreiben können. „Es gibt immer irgendwo eine Überproduktion.“

Kapazitäten von Freiwilligen-Organisationen gesprengt

Die persönliche Situation vieler Flüchtlinge ist dramatisch, die Menschen sind hilflos und verzweifelt. Doch die Wege, auf denen die Hilfsgüter zu ihnen finden, sind mitunter kurios. So stellt die Bereitstellung simpler Hygieneartikel die Helfer vor große Probleme. Zahnbürsten, Shampoo und Ähnliches gibt es zwar bei jeder Drogeriekette in praktisch unerschöpflichen Mengen.

Der Mehrbedarf ist für den Handel im Verhältnis zum gesamten Absatz praktisch nicht zu spüren. Doch Zigtausende von Seifenstücken, Damenbinden und Rasierern zu Ein-Personen-Sets zu konfektionieren, zu verpacken und auszuliefern, das sprengt die personellen Kapazitäten der Freiwilligen-Organisationen.

Quasi über Nacht ist in Deutschland ein Markt entstanden. Bedient wird er von der Firma Active-Medical, die im niedersächsischen Neuenhaus sitzt. Das Unternehmen hat aktuell eine Bestellung über mehrere Tausend Hygiene-Sets für mehrere DRK-Landesverbände für einen fünfstelligen Euro-Betrag abzuarbeiten. Die Nachfrage nach Notfallkits steige deutlich, heißt es beim Unternehmen. „Wir fahren Sonderschichten, zum Teil bis tief in die Nacht“, sagt der Inhaber. Auf Nachfrage präzisiert er dann: „Also, ich fahre Sonderschichten. Ich mache das noch allein.“

Der Geschäftsführer ist, so stellt sich heraus, 21 Jahre jung und absolviert eigentlich eine Ausbildung zum Notfallsanitäter beim Roten Kreuz. Dabei erkannte er offenbar frühzeitig die Marktlücke für Medizin- und Hygienesets in handlichen Gebinden und gründete kurzerhand seine eigene Firma. Nun verpackt er im Akkord Rasierzeug, Zahnputzbecher, Handtücher und Waschlappen. Auch so kann man helfen.

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