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Training für die Stimme: Wir brauchen Bass!

Foto: Corbis

Sprechtraining für den Job Dünne Stimme, fettes Problem

Eine Führungskraft mit Fistelstimme, ein hektischer Jurist, eine Absolventin mit Angst vor Vorträgen: Freies Sprechen gehört oft zum Beruf. Bei Stimmtrainern kann man es lernen. Doch gerade Managern ist Nachhilfe peinlich - sie erwarten einen zackigen Schnellkurs.

Norbert Denk* ist ein Hüne von einem Mann, knapp zwei Meter groß. Vor einiger Zeit ist er zum Abteilungsleiter aufgestiegen, seitdem muss er jeden Tag Präsentationen halten. Er merkte schnell, dass etwas nicht stimmte. Hinter seinem Rücken wurde getuschelt, nach einigen Wochen bestellte ihn sein Chef zu sich. Es gebe Beschwerden. Seine Stimme sei zu dünn, er selbst dadurch nicht ernst zu nehmen. Keiner nehme ihn für voll.

Der Zwei-Meter-Mann schluckte. Doch dem Chef war es ernst. Schließlich machte Denk einen Termin bei einer Stimmtrainerin. Es folgte eine Geduldsprobe: Erst nach 30 Stunden Einzeltraining machte Denk spürbare Fortschritte. Seine Stimme wurde fester. Seine Kollegen sollten vom Stimmtraining auf keinen Fall Wind bekommen, es wäre Denk peinlich gewesen.

Solche Heimlichtuereien kommen häufig vor, wenn es um Sprechschulungen geht. "Stimme ist etwas sehr Privates", sagt die Kölner Sprechtrainerin Antje Weiss. "Von Defiziten in der Stimme wird leicht auf vermeintliche Mängel im Charakter geschlossen." Oder auf ein vermeintlich schlechtes Fachwissen. Weiss trainiert Radiomoderatoren und Fernsehsprecher, für die eine Stimmschulung zur Ausbildung gehört. Bei anderen Berufen ist das nicht so, selbst wenn Sprechen eine wichtige Rolle im Arbeitsalltag spielt.

"Vielen Managern ist gar nicht bewusst, dass ihre Stimme genauso zu ihrem Handwerkszeug gehört wie eine betriebswirtschaftliche Formel", sagt Christine Kugler. Die Logopädin und Sprecherzieherin bringt Menschen bei, mit diesem Werkzeug besser umzugehen. Das ist nicht immer einfach, denn für Entscheider muss es zackig gehen. "Manager wollen gern einen Zehn-Punkte-Plan", sagt Kugler. Doch so schnell geht's nur selten, einige Wochen Training sollte man mindestens einplanen.

Die Sozialwissenschaftlerin Sophie Franck* hatte nach ihrem Studium eine prestigeträchtige Stelle in Aussicht. Der Haken: Sie würde Vorträge halten, bei Diskussionen auf dem Podium sitzen, ihre Position vertreten müssen. Franck wusste von Anfang an, dass sie das nicht konnte. Sie war unsicher, ließ sich leicht aus dem Konzept bringen. "Ich hatte aber keine Lust, mir die nächsten Jahre immer neue Vermeidungsstrategien auszudenken", sagt sie.

Stress treibt die Stimme hoch

Also ging sie in die Offensive: Sie übte mit einer Sprecherzieherin, schulte ihre Stimme und verbesserte ihre Rhetorik. Davon wissen allerdings nur ihre engsten Freunde. Offen reden will sie darüber nicht, vor allem nicht mit den Kollegen. Sie fürchtet, dass sie sich angreifbar macht.

"In Stresssituationen neigen Menschen dazu, höher zu sprechen", sagt Logopädin Kugler. "Das klingt vor allem bei Frauen mit sowieso schon hoher Stimme eher unsouverän." Wer Chef ist, sollte das vermeiden - nicht nur, weil es die Autorität untergräbt, sondern weil es anstrengend ist. Bei einigen Sprechschülern muss sie bei den Grundlagen anfangen: "Es gibt Klienten, denen ich erst einmal ein Gefühl für Laute vermitteln muss." Dass ein "n" anders geformt wird als ein "ng". Oder dass es unterschiedliche Stimmlagen gibt.

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Deutschlands bekannteste Stimme: "Fahrtende, bitte aussteigen"

Die Übungen bei Logopäden und Sprechtrainern ähneln sich zum Teil. Während aber Logopäden eine anerkannte Ausbildung haben und medizinische Therapien auf ärztliches Rezept durchführen, kann jeder Stimm- und Sprechtraining anbieten. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Ausnahmen bilden einzig "Diplomierte Sprecherzieher" und "Diplomierte Sprechwissenschaftler".

"Wie wirkt es, wenn ich anders betone?"

Das Training kann ins Geld gehen: Eine Einzelsitzung bei einem Logopäden oder Sprechtrainer kostet pro Stunde zwischen 50 und 150 Euro, Gruppensitzungen sind mit 25 bis 50 Euro deutlich günstiger, aber nicht so intensiv. Meist zahlen die Teilnehmer selbst, manchmal übernimmt der Arbeitgeber einen Teil.

Der Jurist Michael Irion vertraute auf eine ausgebildete Logopädin. Sein HNO-Arzt überwies ihn an die Expertin, nachdem er über Schmerzen und Schluckbeschwerden geklagt hatte und mit Antibiotika behandelt wurde. Im Sprechunterricht lernte er, Dauertelefonate und Diskussionen entspannter anzugehen: "Ich habe vor allem gelernt, langsamer, betonter und überlegter zu sprechen."

Vertriebsfachmann Joachim Schäfer wollte dagegen mit seiner Stimme experimentieren: "Wie wirkt sie, wie ändert sich die Reaktion bei den Zuhörern, wenn ich Worte anders betone?" Anfangs kamen ihm die vorbereitenden Lockerungsübungen für Kiefer und Gaumen albern vor, mittlerweile weiß er sie zu schätzen. Sich vor wichtigen Präsentationen und Gesprächen zu sammeln, durchzuatmen, die Gesichtsmuskulatur zu entspannen, das ist für ihn mittlerweile Routine. Seinen Akzent versteckt der gebürtige Badener dabei nicht.

"Dialekte sind nur schlimm, wenn sie das Sprechen unverständlich machen, ansonsten vermitteln sie in vielen Situationen Glaubwürdigkeit und Authentizität." Während Christine Kugler das sagt, schwäbelt sie leicht. Doch die Logopädin kann auch Hochdeutsch sprechen - im Gegensatz zu einem Wirtschaftsmann aus Bayern, der einst in ihre Praxis kam. "Er zeigte überhaupt keine Bereitschaft, sich auf seine eigene Stimme einzulassen", erinnert sich Kugler. Dass er sich Mühe geben sollte, damit er auch im Rest der Republik verstanden wird, sah er nicht ein. Nach zwei Sitzungen suchte der Bayer das Weite.

(*Namen geändert)

KarriereSPIEGEL-Autor Klaus Martin Höfer (Jahrgang 1961) ist freier Bildungs- und Wissenschaftsjournalist in Berlin und arbeitet überwiegend fürs Radio.