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Vom Lichtspielhaus zur Werkstatt

Vor 20 Jahren gingen im Olympia-Kino die Lichter aus. Ein Strehlener erinnert sich an cineastische Höhepunkte.

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© André Wirsig

Von Nora Domschke

Es war 1938 Dresdens letzter Kino-Neubau vor dem Zweiten Weltkrieg – heute steht von den beliebten Olympia-Lichtspielen in der Dohnaer Straße 57 allerdings nur noch die Außenhülle. Im Inneren werden seit 1997 Autos geschraubt. Damals richtet die Werkstattkette Pitstop in dem alten Kinosaal einen Kfz-Service ein.

In den Vierzigerjahren wurde das Lichtspieltheater zum Besuchermagnet, seit 1995 ist es geschlossen.
In den Vierzigerjahren wurde das Lichtspieltheater zum Besuchermagnet, seit 1995 ist es geschlossen. © privat

Der Strehlener Karl Schreiber kennt das Kino schon aus seiner Kindheit. Nun wirft er einen schüchternen Blick in das ehemalige Foyer, das heute als Büro genutzt wird. Obwohl er gleich um die Ecke wohnt, betritt Schreiber das Kinogebäude nach mehr als 20 Jahren zum ersten Mal wieder. „Es ist schade, dass es in unserem Stadtteil heute kein Kino mehr gibt“, sagt der 78-Jährige. Das Olympia wurde 1995 geschlossen – aus wirtschaftlichen Gründen. Dabei hatte der damalige Betreiber kurz zuvor noch einmal viel Geld in die Hand genommen und Dolby-Surround-Tontechnik in den Saal mit 310 Sitzplätzen einbauen lassen. Doch sein Konzept vom kleinen Stadtteilkino mit einem Programm, das vor allem Filmklassiker zeigt, ging nicht auf. Zu sehr lockten die großen Filmtheater im Stadtzentrum, die Gäste in Strehlen blieben aus.

Heute erinnert im Inneren fast nichts mehr an den alten Kinosaal. „Nur die Decke ist so geblieben“, sagt Schreiber, der die für alte Kinosäle typischen Vertiefungen wiedererkennt – die sogenannten Kassettendecken verbessern die Akustik. Im einstigen Saal selbst werden heute Autos auf den Hebebühnen geschraubt. Die Seitengänge und der Vorführraum dienen als Lager für Reifen und Ersatzteile, sagt Pitstop-Mitarbeiter Rico Gotthardt. Der 38-Jährige war als Kind oft selbst im Olympia. Welche Filme er geschaut hat, daran kann sich der Dresdner allerdings nicht mehr erinnern. Allerdings weiß er, dass auf dem Dachboden des Gebäudes heute noch einige alte Kinostuhlreihen lagern. Das lässt Schreiber keine Ruhe. Kurzerhand klingelt er bei Familie Hochberger, die in der Wohnung im vorderen Teil des Kinos wohnt.

Und tatsächlich – auch Ralf Hochberger erinnert sich, alte Holzbänke auf dem Boden gesehen zu haben. Gemeinsam steigen die beiden Männer unters Dach. Dort ist es stockfinster, doch Schreiber entdeckt die völlig verstaubten Stühle. „Toll!“ Da werden Erinnerungen wach – an den ersten Kinobesuch als Kind, an die erste Freundin, mit der er händchenhaltend in der letzten Reihe saß. „Vom Film haben wir manchmal nicht viel mitbekommen“, sagt der Rentner schmunzelnd, der seit 56 Jahren mit eben jener Freundin verheiratet ist.

In den Vierzigerjahren gehörten Kinobesuche fast zum Alltag. „Obwohl die Menschen kaum etwas hatten – es war ja Krieg – Geld fürs Kino war irgendwie immer da.“ Besonders beeindruckt war der damals neunjährige Karl von der Aufführung des Filmklassikers Die Fledermaus. Der wurde 1946 oder 1947 im Olympia zum ersten Mal in Farbe gezeigt. Die Kinos im Stadtzentrum lagen in Trümmern – deshalb pilgerten die Dresdner in Scharen nach Strehlen ins unzerstörte Olympia.

„Plötzlich bekam unser Vorstadtkino eine ganz andere Bedeutung in der Stadt“, sagt Schreiber. Für die kriegsgebeutelten Dresdner war der Filmabend Ablenkung vom harten Alltag, die Menschen hungerten, auch nach Kultur. „Manchmal war die Warteschlange hundert Meter lang.“ Deshalb war er als kleiner Junge besonders enttäuscht, als er 1946 den Film „Peter Voss, der Millionendieb“ nicht anschauen durfte. „Der Kontrolleur ließ mich partout nicht in den Saal.“ Schuld am Verbot waren ein paar, aus heutiger Sicht eher harmlose Liebesszenen, wie Schreiber später erfuhr. Trotzdem blieb der Strehlener seinem Kino treu – bis vor fast 20 Jahren das Licht im Saal zum letzten Mal ausging.