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»Datenklau«-Prozess

Verteidiger fordert Freispruch

Vor dem Berliner Landgericht hat heute Rechtsanwalt Nikolai Venn sein Plädoyer gehalten. Er vertritt im Prozess um den vermeintlichen Datendiebstahl aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) den Systemadministrator Christoph H. und forderte Freispruch in allen Punkten. Die Verteidigung des ebenfalls angeklagten Ex-ABDA-Sprechers Thomas Bellartz kam nicht zu Wort, bevor der Vorsitzende Richter die Hauptverhandlung überraschend unterbrach. 
Jennifer Evans
27.03.2019  18:52 Uhr

Nach Auffassung von Nikolai Venn ist die Strafforderung der Staatsanwaltschaft für seinen Mandanten »absurd« und »aufgebläht«. Das machte der Rechtsanwalt in seinem heutigen Plädoyer deutlich und beantragte in allen Punkten einen Freispruch für seinen Mandanten. Staatsanwalt Roland Hennicke hatte am vorangegangenen Verhandlungstag eine Freiheitsstrafe von insgesamt zwei Jahren und sechs Monaten für H. verlangt. Die Taten mit Blick auf das Ausspähen von Daten hatte er als »keine Einzelfälle« gesehen, sondern als einen fast schon »eingerichteten Betrieb«. Weil dem IT-Fachmann zudem Einbruchdiebstahl sowie der Besitz kinderpornografischer Daten vorgeworfen wird, war Hennickes Forderung für H. deutlich höher ausgefallen als für Bellartz. Für diesen hatte der Staatsanwalt eine Geldstrafe von 60.000 Euro gefordert. 

Bereits seit Januar 2018 müssen sich die beiden Angeklagten dafür verantworten, zwischen 2009 und 2012 Daten aus E-Mail-Postfächern im BMG ausgespäht zu haben und in diesem Zusammenhang auch gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen zu haben. Für die politisch brisanten Informationen soll Bellartz den IT-Fachmann bezahlt haben. Laut Anklage ist von 40 Fällen die Rede. Doch die Richter verfolgen mittlerweile nur noch zwei davon. Die übrigen 38 Punkte sowie die Verstöße in Sachen Datenschutz haben sie in der Zwischenzeit fallen lassen. In den beiden verbleibenden Fällen sieht der Staatsanwalt jedoch weiterhin den Tatbestand gemäß §202a Strafgesetzbuch zum Ausspähen von Daten als erfüllt an. 

Venn hat heute das Plädoyer des Staatsanwalts scharf angegriffen, warf ihm vor, »eine Niederlage als einen Erfolg« zu verkaufen. Obwohl 95 Prozent der Anklagepunkte im Einverständnis mit der Staatsanwaltschaft eingestellt worden wären, habe er diese nun wieder »strafschärfend angeführt«. Venn findet das haarsträubend. Hennicke hatte in seinem abschließenden Vortrag argumentiert, die beiden übrigen Fälle markierten lediglich »die Spitze eines Eisbergs«. 

Auch mit Blick auf die damals im BMG herrschende IT-Sicherheit sind Verteidiger und Staatsanwalt unterschiedlicher Auffassung: Hennicke bezeichnete sie als »nicht dem Standard entsprechend«, Venn heute als »eklatant unzureichend«. Dem Rechtsanwalt zufolge hat das Verfahren aber auch in puncto Einbruchdiebstahl »keine belastenden Beweise« geliefert. Ebenfalls nicht bestätigt sieht er den Anklagepunkt mit Blick auf die kinderpornografischen Daten.

Motiv: Rache und Geld

Rechtlich ausführlich und anschaulich legte Venn außerdem dar, wie fast schon lehrbuchhaft »unzuverlässig« und »unglaubwürdig« die Hauptbelastungszeugin und Exfrau von H. in seinen Augen gewesen ist. Um seine Zweifel an ihren Worten zu begründen, stellte der Anwalt unter anderem Widersprüche aus alten Vernehmungsprotokollen der Polizei diversen Aussagen gegenüber, die sie im laufenden Prozess machte. Gegen ihre Glaubwürdigkeit sprächen auch ihre wenig detailreichen Schilderungen sowie die Tatsache, dass sie bereits in einer anderen Angelegenheit wegen Falschaussage vorbestraft sei. Für Venn liegt auf der Hand, dass die Zeugin nur eines im Sinne hatte: Sich einen Vorteil im damals parallel laufenden Sorgerechtsstreit mit H. um den gemeinsamen Sohn zu verschaffen. Venn zufolge ist sie »getrieben davon gewesen, H. zu schaden«. Ihm dränge sich als Motiv eindeutig Rache und Geld auf.

Die Exfrau von H. hatte den Fall damals ins Rollen gebracht, indem sie – beziehungsweise ihr heutiger Partner – dem BMG einen anonymen Hinweis gegeben hatte. Später verlangte das Paar Geld für den Tipp und bekam dies auch in Aussicht gestellt. Der Staatsanwalt hat Venns Ansicht nach die Belastungstendenz in den Aussagen der Zeugin wohl deshalb übersehen, weil er sich angesichts des »Gebirges an Problemen« in diesem Fall anscheinend einfach ein »seichtes Gewässer« vorgestellt hat. 

Wider Erwarten kam der Verteidiger von Bellartz, Professor Carsten Wegner, heute nicht zum Zuge. Überraschend unterbrach die Strafkammer die heutige Hauptverhandlung. Damit ist Wegners Plädoyer auf den nächsten Termin am 5. April verschoben. Vorher will sich aber Venns Kollegin, die Verteidigerin Diana Nadeborn, noch speziell zum Tatbestand des Ausspähens von Daten äußern. Mit dieser Unterbrechung verzögert sich auch das Prozessende.

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