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Schweiz
Zwei neue Reporte zeigen, wie sehr die Vereinten Nationen auf unbezahlte Arbeit setzen – auch in Genf. Die Angestellten wenden sich mit einem Brief an den Bundesrat.
Die Vereinten Nationen (UNO) mit ihren Hauptsitzen in Genf und New York kämpfen weltweit für Menschenrechte. Doch mit Selbstkritik geht die Weltverbesserungsorganisation sparsam um. Dabei herrscht bei den Angestellten seit Jahren grosser Unmut, insbesondere bei den zahlreichen Praktikanten mit Hochschulabschluss, die keinen Lohn erhalten. Zuletzt sagte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres an einer internen Veranstaltung gar, er fände, Praktikanten sollten nicht bezahlt werden (diese Zeitung berichtete).
Nun sind gleich zwei neue Berichte erschienen, welche die negativen Konsequenzen dieser unrühmlichen Praxis aufzeigen. Der erste stammt von der «Fair Internship Initiative», die sich für eine gerechte Entlohnung von Praktikanten einsetzt. Gestützt auf eine Umfrage bei 700 UNO-Angestellten kommt die Organisation zum Schluss, dass die Mehrheit der Praktikanten aus mehrheitlich reichen Ländern stammt.
«Das zeigt, dass die UNO ihre Prinzipien bezüglich Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung bei der eigenen Anstellungspolitik nicht anwendet», sagt Albert Barseghyan, Sprecher der Praktikanten-Gruppierung. Hochschulabsolventen aus ärmeren Weltregionen könnten sich ein unbezahltes Praktikum in den teuren Städten Genf und New York schlicht nicht leisten. «Darunter leidet die Vielfalt und Chancengleichheit im UNO-System», sagt Barseghyan.
Der Report zeige zudem, dass während der Corona-Krise viele UNO-Praktikanten auf der Strecke blieben. «Sie verloren ihre Aufenthaltsbewilligung und mussten ihre Heimreise selber organisieren.» Finanzielle Unterstützung fürs Home Office, bei dem ein grosser Teil des angestrebten Lerneffekts verloren geht, gab es auch keine.
Der zweite Report stammt aus dem Büro von Generalsekretär Antonio Guterres. Demnach waren zwischen 2018 und 2019 über 5100 Gratis-Angestellte im Dienst der UNO tätig – ein Plus von 7 Prozent gegenüber den beiden Vorjahren. Insgesamt zählt die UNO rund 37'000 Angestellte. 66 Prozent der Unbezahlten waren Frauen; 48 Prozent stammten aus Westeuropa, 28 Prozent aus der Region Asien-Pazifik und nur 12 Prozent aus Afrika. Der Bericht ist zuhanden der UNO-Generalversammlung verfasst. Guterres unterlässt es zum Schluss jedoch, die Zahlen zu kommentieren oder eine Empfehlung abzugeben.
Barseghyan hofft dennoch auf ein Umdenken. Denn bereits im März könnte es bei der UNO-Generalversammlung zu einer Abstimmung über eine fairere Ausgestaltung der UNO-Praktikumsprogramme kommen. «Wir werden deshalb im Februar die Mitgliedstaaten darauf aufmerksam machen,» sagt Barseghyan. Unterstützung erhielten die Praktikanten zuletzt von der Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (diese Zeitung berichtete). Auch an den Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis wird die «Fair Internship Initiative» einen Brief schreiben. Zudem hoffe man auf die neue US-Regierung, sagt Barseghyan: «Dass die USA unter Joe Biden wieder eine aktivere, sozialere Rolle in der UNO spielen möchten, gibt uns Hoffnung.»