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Bayern Homosexualität

Wie München schwule Senioren pflegt

Rosa Alter - ein Projekt der Muenchner Aids-Hilfe e.V. Rosa Alter - ein Projekt der Muenchner Aids-Hilfe e.V.
Martin Zwickl lebt gemeinsam mit drei anderen Männern in einem Wohnprojekt der Münchner Aids-Hilfe.
Quelle: Hans-Rudolf Schulz
Schwule auf eine Insel schicken? Die Vorschläge wurden nie umgesetzt, zeigen aber, wie repressiv Münchens Schwulen-Politik noch in den 80ern war. Heute leistet die Stadt Pionierarbeit bei der Pflege.

Eine Heerschar von Engelsfigürchen blickt in Martin Zwickls Zimmer von den Regalen. „Das sind meine Glücksbringer“, sagt der 55-Jährige. In der Küche der 250 Quadratmeter großen Wohnung in der Münchner Lindwurmstraße duftet es nach Kaffee. „Unser Mafiosi“, wie Zwickl seinen sizilianischen Mitbewohner Enzo Papaleo scherzhaft nennt, hat ihn gerade aufgebrüht.

„Enzo ist der Koch hier. Ich darf höchstens Mal eine Zwiebel schneiden“, sagt Zwickl und lacht. An der Wand hängt ein Putzplan, und wegen dem gibt es Stress. „Jeder hier hat seine eigene Macke“, sagt der 65-jährige Papaleo. Der ganz normale WG-Alltag eben – beinahe. Denn die Herren leben in der „rosaAlternative“, Bayerns einziger Wohngemeinschaft für ältere Schwule.

An vielen Orten ist Schwulsein immer noch ein Thema

Das Projekt der Münchner Aidshilfe, in denen Homosexuelle ab 50 mit und ohne HIV selbstständig leben, aber wenn nötig auch Pflegeleistungen bekommen, wird viel gelobt. Und die sechs Bewohner, die bei jedem Neueinzug mitentscheiden, schätzen sich glücklich, unter Menschen zu sein, die ähnlich ticken. Wo Schwulsein kein Thema ist.

„Hier sind sie nicht alleine, an die Szene angebunden, und niemand stört sich daran, wenn eine Bekanntschaft über Nacht bleibt, sagt Diana Zambelli, Leiterin der Beratungsstelle „rosaAlter“. Zwickl ist für einen Platz sogar extra vom liberalen Berlin an die Isar gezogen. Trotzdem findet die Vorbild-WG kaum Nachahmer.

Noch schlechter sieht es beim Blick in die Alten- und Pflegeheime aus. In ganz Deutschland lassen sich die Häuser, die sich aktiv an homosexuelle Bewohner richten und auf ihre Bedürfnisse eingehen, an einer Hand abzählen. Dabei ist der Bedarf groß.

Man will sich im Alter nicht wieder verstecken müssen

Allein in München sind nach Schätzung von Andreas Unterforsthuber von der städtischen Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen fast 6500 Homosexuelle 75 Jahre und älter.

Eine Umfrage seines Hauses in der Szene ergab bereits vor mehr als einem Jahrzehnt, dass sich 95 Prozent der rund 250 Befragten Altenhilfeeinrichtungen wünschen, in denen sie offen als Schwuler oder Lesbe das Angebot nutzen können. Aber nur zehn Prozent glauben, dass die Einrichtungen im Umgang mit Homosexuellen überhaupt kompetent sind. Vielmehr fürchten Dreiviertel aller Befragten Ausgrenzung und Benachteiligung.

„Wer sein Leben lang offen schwul gelebt, und sich diese Freiheit hart erkämpft hat, will sich im Alter nicht wieder verstecken müssen“, sagt Unterforsthuber. Und auch Martin Zwickl, früher selbst Pflegekraft, kippt beim Gedanken an ein gängiges Altenheim fast die Stimme: „Das wäre schrecklich“, sagt er.

Rosa Alter - ein Projekt der Muenchner Aids-Hilfe e.V.
Martin Zwickl zog für einen Platz im Wohnheim eigens von Berlin nach München. In den 1980er-Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.
Quelle: Hans-Rudolf Schulz

Natürlich werden bereits Homosexuelle in Heimen versorgt. Mal ist es ein Pfleger, den der schwule Bewohner ins Vertrauen zieht, mal die Heimleitung. Offen darüber gesprochen wird aber in der Regel in den meisten Einrichtungen nicht. In den Aufnahmebögen fehlt neben dem Kästchen „verheiratet“ das Feld „verpartnert“.

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„Die Generation der Homosexuellen, die jetzt Pflege braucht, geht mit ihrer Sexualität aber nicht hausieren“, erklärt Unterforsthuber. „Diese Menschen sind sehr verwundet und haben in der Kriegs- und Adenauerzeit teils traumatische Erfahrungen gemacht.“

Damals wurden sie aufgrund des Paragrafen 175 wegen ihrer Sexualität noch staatlich verfolgt und mussten Haftstrafen fürchten. Wer „entlarvt“ wurde, verlor nicht selten seinen Job und wurde gesellschaftlich stigmatisiert. Signalisiere ein Haus nicht deutlich, für alle Lebensweisen offen zu sein, würden ältere Schwule lieber wieder schweigen. Zu tief sitzt die Angst.

Manche wollten Schwule internieren

Das bestätigt auch Sigolf Honsel von der Münchner Selbsthilfegruppe „Gray and Gay“. Einige Mitglieder hätten sehr lange ein Doppelleben geführt, manche gar geheiratet und Kinder bekommen, bis sie im Alter den Mut fanden, sich zu offenbaren. „Auch ich habe in der Arbeit nie über meine Homosexualität gesprochen, selbst Teile meiner Verwandtschaft wissen nichts. Nur weil ein Paragraf wegfällt, heißt das noch lange nicht, dass alle offen gegenüber Schwulen sind“, so der 65-Jährige. Er erinnere sich noch gut an die Zeiten der Aidskrise in den 80er-Jahren, als man in Bayern Schwule internieren oder auf eine Insel schicken wollte. „Das vergisst man nicht.“

Ein zweites Coming-out im Altenheim? Dafür fehlt die Kraft. Und so kann es im Extremfall sein, dass ein Homosexueller neben einem Altnazi im Zimmer liegt, schräge Blicke erntet – wenn statt der Enkel der Partner zu Besuch kommt – oder von einem homophoben Pfleger gewaschen wird.

Die Pfleger sollen auf die Biografie eingehen

Solche Szenarien will Siegfried Benker, Geschäftsführer der Münchenstift, verhindern. Als die Stadt aufgrund der Umfrage die Modellprojektöffnung der stationären Altenpflege für gleichgeschlechtliche Lebensweisen – also für Schwule, Lesben und Transgender – beschloss, hat sich bezeichnenderweise nur seine Einrichtung beworben.

Seit 2014 werben drei Häuser der städtischen Tochtergesellschaft ganz offensiv mit der Regenbogenfahne. „Das ist ein kleines Symbol an unserer Tür, das gar nicht hoch genug bewertet werden kann“, sagt Benker. Es sei wichtig, die offene Haltung nach außen deutlich zu machen. „Wir sind auf dem Christopher Street Day vertreten, schalten Anzeigen in Szenemagazinen und haben einen Kurator, der das Thema Vielfalt auch in den Häusern durch Ausstellungen sichtbar macht“, sagt der ehemalige Grünen-Stadtrat.

Mehrheit der Deutschen für Gleichstellung der Homo-Ehe

Generell ist Homosexualität für die meisten Deutschen kein Problem. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung hat aber herausgefunden: Das ändert sich im direkten Umfeld.

Quelle: Die Welt

Was bislang noch als Modellprojekt läuft, soll ab 2018 in allen 13 Häusern der Münchenstift umgesetzt werden. Dabei steht die städtische Tochtergesellschaft in engem Kontakt mit der Community. Jeder Mitarbeiter wird geschult und weiß, mit welchen Problem Lesben, Schwule und Transgender in ihrem Leben zu kämpfen hatten.

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„Gerade im Alter oder bei Demenz, wenn Menschen viel in der Vergangenheit leben, ist Biografiearbeit extrem wichtig. Wenn wir wissen, welche Erfahrungen mitgebracht werden, können wir im Pflegeprozess gezielt darauf eingehen“, erklärt Benker.

Diskriminierung, Getuschel und abschätzige Bemerkungen würden nicht geduldet, sagt Benker. Pflegekräfte, die mit Homosexualität ein Problem haben, würden sich daher erst gar nicht bewerben. Über den Prozess der Annäherung von Altenheim und Community wurde sogar ein Film gedreht. Titel der einstündigen Doku: „Leben wie Sie lieben – auch im Alter“. Darin outet sich nicht nur einer der Heimleiter als homosexuell, auch viele Mitarbeiter stehen dazu, Männer zu lieben.

Schwule Wohnformen stehen noch ganz am Anfang

Die neue Offenheit kommt an. „Bei Führungen durch die Häuser ist vielen Interessierten regelrecht das Herz aufgegangen“, berichtet Unterforsthuber von der Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Denn die Leute würden sofort wahrnehmen, wenn neben der „Bild der Frau“ auch das schwule Stadtmagazin ausliege oder auf dem Programm ein Konzert eines schwulen Männerchors stehe. „Endlich können wir bei Anfragen von Angehörigen oder Partnern geeignete Einrichtungen empfehlen.“

Doch es gibt noch viel zu tun. Gefragt sind auch Wohnformen, in denen Homosexuelle Tür an Tür leben, und die Autonomie lange erhalten werden kann. „Das Thema Schwulsein im Alter wird immer relevanter. Langsam kommt auch die geoutete Generation ins Seniorenalter“, sagt Unterforsthuber. Sie wollen mit ihrem Partner oder mit Freunden ins Altenheim einziehen, ihren Lebensstil weiterführen. Das müsse selbstverständlich werden. Gerade jetzt, wo rechte Parteien Zulauf hätten und Homophobie wieder zunehme.

In den 80ern wurden Schwule angegriffen

Diskriminierung gehört nach wie vor zum Alltag von Homosexuellen. Eine Umfrage im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergab jüngst, dass es 38 Prozent der Befragten unangenehm finden, wenn zwei Männer in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zeigen. „Wer schwul ist und zudem noch HIV hat, sollte das lieber für sich behalten“, sagt auch Enzo Papaleo. Er und Martin Zwickl sind erleichtert, in der „rosaAlternative“ ihren Platz gefunden zu haben. „Hier werde ich meinen letzten Lebensabschnitt verbringen“, sagt Papaleo.

Dass gerade die Isar-Metropole bei der Betreuung von älteren Schwulen eine Leuchtturmfunktion haben würde, war für ihn einst unvorstellbar. Schließlich erreichte in München die repressive Politik gegen Homosexuelle während der Aidskrise in den 80ern unter Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler (CSU) einen Höhepunkt. „Ich habe erlebt, wie Schwule in der Müllerstraße angegriffen wurden, wie auf ihren Armen Zigaretten ausgedrückt wurden“, erzählt Papaleo, der vor 40 Jahren der Liebe wegen nach Bayern kam.

Er begleitete Aidskranke am Sterbebett, beriet Neuinfizierte – bis sein eigener Partner an der Immunschwächekrankheit starb. „Das war grausam, die Ärzte waren hilflos“, sagt er. Als Papaleo von seiner eigenen HIV-Infizierung erfuhr, dachte er, das sei sein Todesurteil. „Aber ich bin immer noch hier und habe viel vor.“ In München wird ihm dabei geholfen.

Hier fühlen sich Homo- oder Transsexuelle sicher

Im Pattaya Remand Gefängnis in Thailand fühlen sich homo- oder transsexuelle Häftlinge besonders sicher. Denn hier werden sie von heterosexuellen Gefangenen getrennt. Das soll gewalttätige Übergriffe verhindern.

Quelle: N24/Lukas Axiopoulos

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