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Arzneistoffe vor der Zulassung

Therapeutische Lückenfüller

Welche innovativen Arzneistoffe werden in naher Zukunft die Marktreife erlangen? Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main stellte beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran ausgewählte Wirkstoffe vor, die im Fall einer Zulassung wichtige therapeutische Lücken füllen könnten.
Kerstin A. Gräfe
03.06.2019  13:44 Uhr

Noch für dieses Jahr erwartet der pharmazeutische Chemiker die Zulassung von Esketamin (Spravato®) in der EU. In den USA ist das Nasenspray mit dem S-Enantiomer des Anästhetikums Ketamin bereits seit Anfang des Jahres auf dem Markt. Eingesetzt werden darf es als Zusatzbehandlung bei Patienten mit Major Depression, die auf mindestens zwei Therapieversuche mit anderen Antidepressiva nicht angesprochen haben.

»Esketamin ist ein Donnerschlag im Bereich der Antidepressiva«, betonte Schubert-Zsilavecz. Mit den derzeit verfügbaren Optionen bestünden nämlich zwei Probleme: Zum einen gebe es viele therapieresistente Patienten, zum anderen dauere es Wochen bis teils Monate, bis diejenigen, bei denen die Medikamente wirken, darauf ansprechen. »Das ist eine enorm kritische Phase, in der die Betroffenen stark suizidgefährdet sind«, so der Referent. Diese Lücke soll Esketamin als Add-on schließen, bis das Basisantidepressivum wirkt.

Schubert-Zsilavecz verwies darauf, dass der genaue Wirkmechanismus von Esketamin nicht bekannt ist. Eine Zulassung habe es dennoch bekommen, da es in klinischen Studien im Vergleich zu Placebo einen signifikanten Effekt gezeigt habe und die Anwendung in einem sehr restriktiven Programm eingebunden sei. Das Spray dürfe nur unter ärztlicher Aufsicht appliziert werden. Zudem wolle man dem Off-Label-Use Einhalt gebieten, der in den USA schon vor der Zulassung in sogenannten Ketamin-Clinics praktiziert wurde.

Ebenfalls eine therapeutische Lücke könnte der nächste Arzneistoff schließen: Lasmiditan zur Behandlung der akuten Migräne. Goldstandard in dieser Indikation sind Triptane. Diese potenten Therapeutika haben aber einen Nachtteil: Die sind kontraindiziert für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da Triptane nicht selektiv ausschließlich intrakranielle Gefäße, sondern auch periphere Gefäße kontrahieren. »Die Entwicklung neuer Arzneistoffe ohne Wirkung auf die peripheren Blutgefäße ist daher ein wichtiges Ziel der Migräneforschung«, betonte Schubert-Zsilavecz.

Mit Lasmiditan sei dieses Ziel erreicht worden. Der Wirkstoff sei der erste Vertreter der Gruppe der 5-HT1F-Rezeptorantagonisten ohne Wirkung auf periphere Gefäße. Der genaue molekulare Wirkmechanismus sei unbekannt. Der Wirkort, das Trigeminussystem, deute jedoch auf Effekte bei der Freisetzung des Calcitonin Gene-Related Peptides (CGRP) hin, so der Referent. CGRP ist auch das Target, das die neuen Antikörper zur Migräne-Prophylaxe adressieren.

An einer postpartalen Depression leiden weltweit etwa 10 bis 20 Prozent aller Mütter, davon 5 bis 10 Prozent an einer schweren Form. Bislang gab es keine spezifische Behandlungsoption. Das hat sich zumindest in den USA kürzlich mit der Zulassung des neuroaktiven Steroids Allopregnanolon Brexanolon (Zulresso®) geändert. »Eine Reihe von Studien lassen auf einen Zusammenhang zwischen dem abrupten Abfall der Hormonspiegel von Allopregnanolon und Progesteron nach der Geburt und der Entstehung einer postpartalen Depression schließen«, erklärte Schubert-Zsilavecz die Rationale des neuen Arzneistoffs. Er werde intravenös über 60 Stunden appliziert. Der Effekt, der innerhalb weniger Stunden durch die Gabe von Brexanolon erzielt werden konnte, sei bemerkenswert — ungeachtet der kleinen Studienpopulation mit 21 Probandinnen. Offen bleibe, ob die synthetische Variante des Neurosteroids Allopregnanolon auch bei leichteren Formen der postpartalen Depression wirkt.

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