Psychologie:Anfällig für Verschwörungstheorien

Mondlandung - Apollo 11

Dass die Mondlandung nur inszeniert worden sei, ist eine beliebte Verschwörungstheorie.

(Foto: dpa)
  • Minderheiten sind besonders anfällig für Verschwörungstheorien, ergab eine Studie niederländischer Forscher.
  • Allein das Gefühl der Ausgrenzung reicht, um den Glauben an finstere Mächte zu befeuern - unabhängig vom Lebensstandard.

Von Sebastian Herrmann

Die Welt scheint eine einzige Schmierenkomödie zu sein, in der wildeste Stücke aufgeführt werden. Eine Kostprobe aus dem Programmheft des internationalen Theaters der Verschwörungen: Die Nasa hat die Mondlandung nur inszeniert, die CIA steckt hinter den Anschlägen vom 11. September, die Pharmaindustrie verweigert wirksame Therapien gegen Krebs, um am Siechtum der Patienten zu verdienen, Angela Merkel ist ein Reptilienwesen und hinter allem stecken Illuminaten, Juden, Muslime, Banker oder irgendeine mit anderen Figuren besetzte Gruppe finsterer Kräfte.

Der Glaube an Verschwörungstheorien ist weit verbreitet - und besonders anfällig scheinen Minderheiten zu sein. Das berichten Psychologen um Jan-Willem van Prooijen von der Universität Amsterdam in Applied Cognitive Psychology. In ihrer Studie präsentieren die Forscher auch Indizien dafür, dass Angehörige marginalisierter Gruppen sogar mit besonderer Bereitschaft an Verschwörungen glauben, deren Inhalte für sie irrelevant sind.

"Viele gesellschaftliche Minderheiten kämpfen mit wirklichen Problemen wie Diskriminierung, Marginalisierung oder finanziellen Schwierigkeiten", schreiben die Psychologen. "Jedoch scheinen diese Probleme den Glauben an realitätsferne Verschwörungstheorien zu befeuern." An der Studie nahmen mehrere Hundert Einwohner der Niederlande teil, die muslimischen Glaubens waren und familiäre Wurzeln in Ländern wie Marokko oder der Türkei hatten.

Unter anderem sollten die Probanden angeben, wie sehr sie an verschiedene Verschwörungen glauben. Darunter war die Theorie, die USA hätten die Terrorgruppe Islamischer Staat selbst ins Leben gerufen, um den Islam zu diskreditieren. Dass der Glaube an solche Verschwörungen unter den Teilnehmern der Studie besonders ausgeprägt war, überraschte die Psychologen nicht. Schließlich ist der Inhalt dieser Vorstellung für Muslime direkt relevant. Wenn im Namen der eigenen Religion Gräueltaten verübt werden, wirkt die Vorstellung einer bösartigen Inszenierung sozusagen identitätsbewahrend: Meine Leute würden so etwas niemals machen.

Wer sich ungerecht behandelt fühlt, wittert besonders rasch überall üble Machenschaften

Allerdings fand unter den Probanden auch die Theorie verblüffend hohe Zustimmung, wonach die Medien von einer linken Elite gesteuert würden, welche die Bevölkerung einer Gehirnwäsche unterziehe. Der Inhalt dieser Verschwörung ist für Angehörige einer muslimischen Minderheit in einem europäischen Land nicht spezifisch relevant. Es müsse also ein weiterer psychologischer Mechanismus am Werk sein, so die Psychologen. Offenbar reiche das Gefühl, nicht als volles Mitglied der Mehrheitsgesellschaft anerkannt zu werden, um empfänglich für Verschwörungsdenken zu sein.

Wer sich ungerecht behandelt fühlt, vermutet demnach also mit besonderer Leichtigkeit finstere Mächte am Werk, selbst wenn deren Machenschaften einen selbst gar nicht betreffen. Der eigene soziale Status spielt dabei offenbar ebenfalls keine Rolle: So hat eine Studie mit US-Bürgern afro-amerikanischer Herkunft vor einigen Jahren gezeigt, dass der Glaube an Verschwörungstheorien in der Stichprobe überdurchschnittlich stark verbreitet war und dies auch für gut gebildete sowie finanziell erfolgreiche Probanden galt. Die eigene Lebenssituation mag rosig sein, die gefühlte Zugehörigkeit zu einer ausgegrenzten Minderheit reicht offenbar aus, um mit besonderer Bereitwilligkeit an finstere Mächte zu glauben, die alle Fäden in der Hand halten.

Das Leben gerät aus den Fugen? "Das System" arbeitet gegen einen, ist doch ganz klar

Verschwörungstheorien wirken insbesondere auf Menschen attraktiv, die von einem Gefühl des Kontrollverlustes geplagt werden. Wenn es nicht läuft, die Umstände vermeintlich jenseits des eigenen Einflusses liegen, spendet die Vorstellung finsterer Mächte natürlich Trost: Man hat es selbst nicht in der Hand, was willst du machen, wenn "das System" gegen einen arbeitet? In Experimenten neigen Probanden zum Beispiel besonders zum Glauben an das Übernatürliche, wenn ihnen Forscher das Gefühl von Machtlosigkeit einimpfen. Und Psychologen um Damaris Graupner von der Princeton University zeigten kürzlich im Journal of Experimental Social Psychology, dass dies auch für soziale Ausgrenzung gilt. Wer in Versuchen entsprechende Erfahrungen durchmachen musste, öffnete sein Denken ebenfalls für den Glauben an Verschwörungen.

In der gegenwärtigen Lage dürfen Forschungsergebnisse wie diese durchaus als schlechte Nachricht gewertet werden: Derzeit zersplittern viele westliche Gesellschaften in zahllose kleine Identitätsräume. Und deren Angehörige stehen, so scheint es in den öffentlichen Debatten zumindest zu sein, in einer Art Wettbewerb, wer Opfer der übleren Diskriminierung und Ausgrenzung ist. In diesem Klima können Verschwörungstheorien blühen - und am Ende leben alle in ihrer eigenen Realität.

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