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Alkoholkrankheit

Das Gehirn erholt sich erst langsam

Hören alkoholabhängige Patienten mit dem Trinken auf, schreiten die Schäden im Gehirn noch mindestens sechs Wochen lang fort. Dieses Ergebnis einer aktuellen Studie unterstreicht die Notwendigkeit längerer Abstinenzperioden, teilt das an der Studie beteiligte Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim mit.
09.04.2019  08:00 Uhr

Bisher war man davon ausgegangen, dass sich alkoholbedingte Hirnschäden bei Abstinenz schnell zurückbilden, so das ZI. Die im Fachjournal »JAMA Psychiatry« erschienene Studie, für die das ZI mit dem Instituto de Neurociencias de Alicante in Spanien kooperierte, zeigt nun ein anderes Bild. Die Untersuchung von 91 alkoholabhängigen Patienten auf Entzug per Diffusion Tension Imaging (DTI) ergab, dass die Schädigungen, die vor allem die weiße Substanz des Gehirns betreffen, noch mindestens sechs Wochen nach Beendigung des Alkoholkonsums fortschreiten.

DTI ist eine spezielle Methode der Magnetresonanztomografie, mit der sich Diffusionsvorgänge von Wassermolekülen im Gehirn darstellen lassen. Wie die Forscher um Dr. Silvia De Santis aus Alicante berichten, waren in den Gehirnen der Patienten mittels DTI ausgedehnte mikrostrukturelle Schädigungen nachweisbar. Diese betrafen die weiße Substanz, die eine wichtige Rolle für das Lernen und die Gedächtnisbildung spielt. Betroffen war etwa der Corpus callosum (Hirnbalken), der die rechte und die linke Hirnhälfte miteinander verbindet.

Als mögliche Erklärung für die anhaltend schädigende Wirkung von Ethanol auf das Gehirn postulieren die Autoren eine alkoholbedingte Entzündungsreaktion. Diese könnte womöglich auch die hohe Rückfallquote alkoholkranker Patienten erklären, insbesondere während der frühen Phase der Abstinenz.

Mehrere Gründe sprechen dafür, dass tatsächlich der Alkohol die beobachteten Schäden verursacht. Erstens waren die beschriebenen Veränderungen bei 36 nicht abhängigen Kontrollpersonen nicht zu sehen. Zweitens zeigte ein Tierversuch mit zu Alkoholabhängigkeit neigenden Ratten, dass ein hoher Alkoholkonsum bei den Tieren genau dieselben Veränderungen im Gehirn bewirkte wie bei den Patienten. »Dies erlaubt es, den Ursachenzusammenhang klar festzustellen, was allein durch klinische Beobachtungen am Patienten nicht möglich gewesen wäre«, so Professor Dr. Wolfgang Sommer vom ZI, einer der Seniorautoren.

»Die im Vergleich zu Menschen kurze und eher gemäßigte Trinkperiode der Tiere deutet darauf hin, dass permanente Gehirndefizite nach übermäßigem Alkoholkonsum viel früher auftreten können als derzeit angenommen«, betont Sommer ein weiteres wichtiges Teilergebnis. Am ZI arbeitet man derzeit an der Entwicklung eines Screeningverfahrens zum Nachweis alkoholbedingter Hirnschäden.

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