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Was die nächste Bundesregierung tun muss Diese digitalen Themen gehören in den Koalitionsvertrag

Der EU-Gipfel in Tallinn hat es wieder mal gezeigt: Deutschland ist in der digitalen Welt nur Mittelmaß. Im Index der EU-Kommission für Digitale Wirtschaft belegt die Bundesrepublik nur Platz 11. Höchste Zeit, die Rahmenbedingungen für Digitalisierung zu verbessern. Die künftige Bundesregierung hat alle Chancen dazu - wenn das digitale Setup im Koalitionsvertrag stimmt. Eine Formulierungshilfe.
Digitalisierung: Deutschland muss aufholen

Digitalisierung: Deutschland muss aufholen

Foto: Daniel Reinhardt/ dpa

Deutschland und Europa sind nicht ein Bit oder Byte schlechter als die Amerikaner oder Asiaten - wir müssen es nur endlich auch mal zeigen! Die Politik darf dabei nicht nur ein "passiver Reagierer" sein, sondern muss zum "aktiven Gestalter" werden. Wir brauchen endlich eine eigene ordnungspolitische Vision für das digitale Zeitalter, statt den Facebooks, Googles und Amazons nur zuzuschauen.

Ein Digitalministerium gründen

Tobias Kollmann

Tobias Kollmann ist Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Seine Schwerpunkte sind Digital Business und Digital Entrepreneurship.

Digitalisierung wird in seiner Wichtigkeit (noch) nicht in der bisherigen Politikstruktur abgebildet. Wir brauchen aber eine "Digitalpolitik" für Wirtschaft und Gesellschaft aus einer Hand mit einem eigenständigen Digitalministerium. Da wir massiv in diesem Thema aufholen müssen, wäre dies zunächst schneller und wirkungsvoller, als die Digitalisierung langwierig, nicht abgestimmt und als Anhängsel im Querschnitt aller Ministerien oder sogar nur einem einzigen Ressort zu verankern. Damit hätten wir eine klare und starke digitale Stimme nicht nur innerhalb von Deutschland, sondern auch in Brüssel.

Digitale Kompetenzen vermitteln

Digitalisierung muss zu einem festen Bestandteil der schulischen Ausbildung, Programmieren als zweite Fremdsprache auf den weiterführenden Stufen ermöglicht werden. Ferner muss schon bei jungen Menschen die unternehmerische Perspektive und der Kompetenzaufbau für die digitale Wirtschaft gefördert werden. Unternehmerisches Lernen soll daher flächendeckend in den Lehrplänen der Schulen sowie in den Studienordnungen der Hochschulen verankert und auch in konkreten Gründungsprojekten gelebt werden. E-Entrepreneurship soll als Fach über die BWL hinaus als fester Bestandteil integriert werden, insbesondere in den MINT-Fächern.

Industrie und Handwerk unterstützen

Wir müssen ehrgeizige Programme für die Digitale Transformation unseres Mittelstandes sowie von Industrie und Handwerk einführen, so dass die gesamte Wirtschaft von den Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren kann. Dafür muss es einen Aufbau beziehungsweise eine Vernetzung von themen- und branchenübergreifenden digitalen Hubs für die flächendeckende Vernetzung von jungen und wachsenden Start-ups mit den etablierten Unternehmen geben. Gerade aus dieser Kooperation erwachsen spezifische Stärken für den digitalen Standort Deutschland.

Forschung für Künstliche Intelligenz ermöglichen

Künstliche Intelligenz (KI) steckt noch in den Kinderschuhen, aber die Technologien sind schon heute in vielen Unternehmen im Bereich Big Data und Industrie 4.0 angekommen. KI wird die Art, wie Unternehmen agieren und Entscheidungen treffen, nachhaltig beeinflussen. Deutschland sollte ein multidisziplinäres Forschungsprogramm zur Künstlichen Intelligenz finanzieren, um gleichzeitig die Entwicklung von neuen auf der Künstlichen Intelligenz basierenden Anwendungen zu fördern, aber auch um ihre Auswirkungen auf Gesellschaft, Beschäftigung und Wirtschaft in unserem Land zu bewerten.

Zuwanderung für Digitalisierung akzeptieren

Ausländische Gründer und Fachkräfte aus dem IKT-Bereich bleiben und arbeiten in Deutschland, wenn sie hier willkommen geheißen werden. Eine Willkommenskultur, die ihnen den Einstieg erleichtert, ist für den Standort Deutschland unerlässlich. Globale auf Renationalisierung ausgerichtete Bewegungen, gefährden die Innovationsdynamik. Wir müssen daher den Einwanderungsprozess für Fachkräfte und Gründer im Bereich Digitalisierung so einfach wie möglich gestalten.

Wagniskapitalgesetz für Start-ups einführen

Investitionen in junge Unternehmen müssen ebenso einfach und attraktiv sein, wie Investitionen in andere Anlageformen. Kontraproduktive Diskussionen um die Besteuerung von Streubesitzerlösen oder steuerlichen Behandlung von Wandeldarlehen müssen beendet und die generelle Investitionsbereitschaft steuerlich gefördert werden. Wir brauchen ein Wagniskapitalgesetz für die steuerliche Mobilisierung von privatem Kapital für die Start-up-Finanzierung. Davon profitiert das gesamte Start-up-Ökosystem.

Breitbandausbau umsetzen

Die digitale Infrastruktur ist die Basis für alle digitalen Innovationen, Geschäftsmodelle und Akteure. Zwar wurden über das Bundesförderprogramm für den Netzausbau entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, aber es darf bezweifelt werden, ob diese für die notwendigen Investitionen in den Breitbandausbau genügen und das angestrebte Ausbauziel von 50 Mbit pro Sekunde im Jahr 2018 erreicht wird. Unabhängig davon zeigen die Entwicklungen schon längst in Richtung einer Gigabitgesellschaft und es ist zu erwarten, dass 50 Mbit schon heute kaum ausreichen, um international mitzuspielen und den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig zu sichern. Die Förderung der Breitbandversorgung ist daher den Ansprüchen einer Gigabitgesellschaft anzupassen und mit klaren Ausbauzielen bis 2022 zu versehen.

Standards für das Internet der Dinge entwickeln

Das Internet der Dinge (IoT) gilt als einer der Megatrends in der digitalen Wirtschaft der nächsten Jahre. Bereits jetzt sind mehr Dinge mit dem Netz verbunden, als Menschen - doch die Zahl von dieser Connected Devices wird in nächster Zeit noch deutlich zunehmen. Dies betrifft nicht nur den privaten Bereich, sondern in besonderer Weise auch die Industrie, den öffentlichen Raum und viele neue digitale Geschäftsmodelle und Start-ups. Dennoch leidet das neue Geschäftsfeld darunter, dass keine verbindlichen Sicherheitsstandards existieren, keine Regelungen für Datenauskunft und auch keine Standardisierungen der Art, wie Geräte miteinander kommunizieren.

Digitales Grundgesetz aufbauen

Digitales Grundgesetz aufbauen

Digitale Geschäftsmodelle sind auf Daten angewiesen. Der Nutzung und Auswertung dieser Daten auf einer aggregierten und anonymisierten Ebene im Netz steht eine unkontrollierte Weitergabe von persönlichen Daten ohne die Zustimmung des Nutzers gegenüber. Auch die Möglichkeit der Datennutzung und der Datenmitnahme durch den Nutzer bei einem Plattform- oder Systemwechsel bedarf noch der Klärung.

Im Mittelpunkt steht dabei die zugehörige Datensouveränität als einer der Kernfragen speziell für die digitale Wirtschaft, aber auch für die digitale Gesellschaft der Zukunft. Hinzu kommen Grundfragen einer digitalen Gerechtigkeit wie die Netzneutralität, bei der Daten gleichberechtigt im Netz transportiert werden müssen, oder der Nutzerneutralität, bei der gleiche Preise für gleiche Angebote unabhängig vom verwendeten Endgerät oder dem Zugriffsort gültig sein müssen. Diese Themen zeigen, dass wir ein generelles rechtliches Rahmengerüst in Deutschland und Europa als Leitplanke für die Digitalisierung brauchen.

Freien Datenmarkt sichern

Die Entstehung eines offenen Markts in Deutschland und Europa für datenbezogene Geschäfts- modelle muss gerade für Start-ups mit eindeutigen Regelungen gesichert werden. Diese Regelungen sollen sicherstellen, dass sowohl die Hersteller von datenproduzierenden Maschinen (Internet der Dinge) sowie die Nutzer solcher Maschinen ein Recht zur Nutzung der Daten bekommen. Zudem sollen Klauseln in AGB, die eine einseitige, ausschließliche Datennutzung durch einen der Vertragspartner festschreiben, für unwirksam erklärt werden. Hierdurch soll aber nicht das Prinzip der Vertragsfreiheit ausgehöhlt werden.

Digitale Weiterbildung unterstützen

Fehlende Digitalkunde in Schulen, fehlende Ausbildung für E-Business und E-Entrepreneurship an den Hochschulen, fehlende Weiterbildungsangebote für die Digitalwirtschaft - die Liste der digitalen Baustellen im Bildungswesen ist lang. Im Ergebnis fehlen digitale Köpfe für die notwendige digitale Transformation. Neben einer Verbesserung dieser Situation im Rahmen der Ausbildung kann die Antwort nur in der geeigneten Weiterbildung der Arbeitnehmer im digitalen Bereich liegen. Wir brauchen daher ein nationales Weiterbildungsprogramm für Arbeitnehmer, um zusammen mit den Unternehmen in einer Co-Finanzierung die digitalen Kompetenzen aufzubauen.

Restriktionen für Kapitalsammelstellen lockern

Wachstum benötigt vor allem Kapital. Das Thema Finanzierung ist unverändert eine der größten Herausforderungen, vor denen deutsche Start-ups stehen. Durch die smarte Anpassung von Kapitalanlagerestriktionen kann der Gesetzgeber mehr Wachstumskapital aus Deutschland zur Verfügung stellen, ohne Steuergelder zu bewegen. Dadurch werden institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionskassen für Investitionen in Start-ups geöffnet. Diese Kapitalsammelstellen sollen 1 Prozent des Vermögens in Technologie und Start-ups investieren. Was in den USA schon lange erfolgreich praktiziert wird, gelangt über Vorreiter wie die Schweiz oder auch Dänemark langsam nach Europa.

Jetzt gilt es!

Wenn wir den Vorsprung der anderen im Bereich Digitalisierung aufholen wollen, brauchen wir einen großen Wurf für die Digitalpolitik in Deutschland und nicht das nächste Klein-Klein mit nicht abgestimmten Eitelkeiten in den verschiedenen, von den unterschiedlichen Parteien besetzten Ressorts. Dafür muss die Digitalisierung als eigenständiges Thema gleichberechtigt mit einem eigenen Budget ebenso an den Kabinettstisch wie ein konkretes und umsetzungsorientiertes Digitalprogramm in den Koalitionsvertrag. Die Erwartungen der Internet-Gemeinde sind hoch. Die künftigen Koalitionspartner müssen beweisen, dass sie unser Land wirkungsvoll ins digitale Zeitalter führen können.

Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Vorsitzender des Beirats Junge Digitale Wirtschaft (BJDW) im Bundeswirtschaftsministerium. Kollmann ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.