Talente Ausgabe 1/2017: Gesunde Arbeit

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Talent Talente Ausgabe 1 | 2017

http://fachkraefte.region-stuttgart.de/talente

Rekrutierung, Qualifizierung, Mitarbeiterbindung in der Region Stuttgart

WRS

Matthias Hangs

Ein Service der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) für Personalverantwortliche

Dr. Walter Rogg Geschäftsführer der WRS

Dr. Sabine Stützle-Leinmüller Leiterin Geschäftsbereich Fachkräfte der WRS

Liebe Leserinnen, liebe Leser, „Neun Zehntel unseres Glücks beruhen allein auf der Gesundheit”, schrieb Schopenhauer – und folgerte daraus, sie sei unser höchstes Gut. Mehr als 150 Jahre später stehen Fitness und Wohlbefinden nach wie vor ganz oben auf der Wunschliste der meisten Menschen. Das Streben nach Gesundheit ist aber längst nicht mehr nur Privatsache, sondern hat höchste Relevanz für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Engagierte und leistungsfähige Mitarbeiter gehören zu den wichtigsten Zukunftsressourcen der Unternehmen. Folgerichtig kümmern sich auch immer mehr Betriebe gezielt um die Gesundheit ihrer Belegschaften. Um wettbewerbsund innovationsfähig zu bleiben, aber auch um geringere Fehlzeiten und eine höhere Produktivität zu erreichen. Positive Veränderungen treten allerdings nur ein, wenn die Unternehmen die richtigen Fragen stellen und auch vor unbequemen Antworten nicht zurückschrecken. Denn der Obstkorb am Empfang alleine greift zu kurz, wenn Magenverstimmungen durch psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz ausgelöst werden. Notwendig ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise, die beispielsweise auch Arbeitszeitmodelle, Führungskultur oder räumliche Gegebenheiten einbezieht. Wie ein erfolgreiches betriebliches Gesundheitsmanagement funktionieren kann, zeigen die zwei Praxisbeispiele in dieser Ausgabe von „Talente“. Es sind zwei ganz unterschiedliche Ansätze, die beide zum Nachmachen anregen. Wir wünschen Ihnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2017.

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Gesunde Arbeit – Die psychische Gefährdungsbeurteilung liefert wertvolle Anregungen Es liegt im Eigeninteresse jedes Arbeitgebers, seine Belegschaft vor gesundheitlichen Risiken zu schützen: Gesunde Mitarbeiter sind engagierter, leistungsfähiger und fallen seltener aus. Im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hat der Gesetzgeber die Unternehmen dazu verpflichtet, Gefährdungen am Arbeitsplatz zu beurteilen und gegebenenfalls zu beheben. Seit 2013 müssen nicht nur körperliche, sondern auch psychische Belastungsfaktoren analysiert werden. In vielen Firmen ist das jedoch noch immer ein Tabuthema. Laut dem DEKRA-Arbeitssicherheitsbarometer 2015/16 legt bei der vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung bisher nur rund ein Viertel der deutschen Firmen das Augenmerk auf die psychische Beanspruchung seiner Mitarbeiter. Viele sehen darin die Büchse der Pandora, die – einmal geöffnet – unangenehme Wahrheiten zutage bringt und die Verantwortlichen unter Handlungsdruck setzt. In vielen Fällen scheuen die Betriebe auch den vermeintlich hohen Aufwand einer solchen Gefährdungsanalyse oder wissen einfach nicht, wie man sie richtig durchführt. Und nicht wenige bezweifeln, dass man psychische Belastungen überhaupt messen und beeinflussen kann. Psychische Belastungen können anregen oder behindern Es hilft zunächst, die Begriffe klar zu definieren: Unter psychischer Belastung versteht der Gesetzgeber „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch

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Gesunde Mitarbeiter

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auf ihn einwirken“. Er benutzt den Begriff wertneutral und bezieht sich auf die Arbeitsbedingungen und nicht etwa auf Personenmerkmale. Ursachen für Belastungen sind beispielsweise in der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsorganisation, den sozialen Beziehungen oder der Arbeitsumgebung zu finden. Abhängig von ihrer Ausgestaltung können sie den Menschen unterstützen oder eben auch beeinträchtigen. Ob sich Belastungsfaktoren positiv oder negativ auswirken, hängt davon ab, wie viele zusammenkommen und in welchem Ausmaß sie eine Person beeinflussen. So kann eine Vielzahl verschiedener Aufgaben durchaus motivierend wirken – müssen diese aber in einer lauten Umgebung erledigt werden, kommt es in Summe zu einer Fehlbeanspruchung und infolgedessen zum Beispiel zu einer zunehmenden Erschöpfung. Dabei spielt es auch eine Rolle, ob die betroffene Person Strategien kennt, um die Belastungen zu bewältigen – also beispielsweise Entspannungsmethoden beherrscht, die ihr helfen, sich zu erholen.

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Wenn sie professionell umgesetzt wird, kann die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung große Chancen bieten. Sie liefert dem Arbeitgeber wertvolle Informationen darüber, wie seine Mitarbeiter die Rahmenbedingungen im Betrieb erleben. Er erfährt, wo sich die Beschäftigten in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt fühlen, wo Arbeitsabläufe unklar und Aufgaben ungleich verteilt sind oder wo organisatorische Voraussetzungen fehlen, die für eine erfolgreiche Erledigung der Arbeit notwendig wären. Die Ergebnisse lassen auch Rückschlüsse zu, wo es Teamkonflikte zu lösen gilt oder die Führungskompetenzen einer Leitungsperson verbessert werden sollten. Zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (GBpsych) gibt es kein allgemeingültiges Verfahren – die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) empfiehlt hierzu unter anderem Mitarbeiterbefragungen mit der Hilfe von arbeitswissenschaftlich geprüften Fragebögen. Zumindest beim ersten Mal kann es sich lohnen, einen externen Experten hinzuzuziehen. Dieser kann bei der Auswahl des passenden Erhebungsinstruments helfen, die Befragung organisieren und auch als neutraler Moderator fungieren.

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Ungünstige Bedingungen erkennen und verbessern

Solide Datenbasis für wirkungsvolle Veränderungen Bei Bedarf unterstützen solche Dienstleister auch dabei, geeignete Gegenmaßnahmen zum Abbau der Gefährdungen zu entwickeln sowie den Prozess in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zu dokumentieren. In der Regel wecken die Ergebnisse der Analyse keine schlafenden Hunde, sondern sind meistens durch Rückmeldungen einzelner Mitarbeiter längst thematisiert worden. Auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung haben die Entscheider jetzt aber eine repräsentative Datenbasis, mit der sie die subjektiven Feedbacks besser einordnen können.

Um die richtigen Schritte in die Wege zu leiten, die tatsächlich zu Verbesserungen führen, ist eine professionelle Diagnostik Voraussetzung. In vielen Fällen sind die Lösungen dann gar nicht mehr so aufwendig, sondern solides Personalentwicklungshandwerk. So können beispielsweise eine Schulungsmaßnahme, die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder ein verändertes Stellenprofil schon sehr viel bewirken. Auch eine Teamentwicklungsmaßnahme kann Belastungen mindern, wenn etwa ungelöste Konflikte oder zu wenig Kommunikation die Ursachen sind. Richtig eingesetzt, ist die Gefährdungsbeurteilung keinesfalls nur gesetzliche Pflichtaufgabe, sondern vielmehr der Schlüssel für eine effektive gesundheitliche Prävention am Arbeitsplatz, von der Betriebe und Mitarbeiter gleichermaßen profitieren.

WRS vernetzt

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BeneFit-Datenbank Region Stuttgart – die Dienstleisterdatenbank für betriebliches Gesundheitsmanagement

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Mit der BeneFit-Datenbank Region Stuttgart bietet die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart (WRS) eine umfangreiche Dienstleisterdatenbank, in der Unternehmen nach einem für sie passenden Anbieter für betriebliches Gesundheitsmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung recherchieren können. Regionale Dienstleister können sich kostenlos in die Datenbank eintragen. BeneFit wird unterstützt von der IHK Region Stuttgart, dem Landkreis und der Stadt Ludwigsburg sowie dem Landkreis Göppingen. Vernetzt ist das Angebot

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mit dem Projekt „Gesundheitsbewusster Betrieb“ des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, das für Unternehmen einen Selbsttest zur Gesundheitsförderung anbietet. Ergänzend dazu informiert das Webangebot über Grundlagen der betrieblichen Gesundheitsförderung, bietet ein Glossar und verlinkt auf weitere interessante Webangebote zum Thema. Weitere Infos unter www.benefitdatenbank.region-stuttgart.de


Im Gespräch

Wie kommen die Menschen mit den wachsenden Anforderungen unserer modernen Arbeitswelt zurecht? Und wie bleiben sie gleichzeitig fit und leistungsfähig bis ins hohe Beschäftigtenalter? Antworten auf diese Fragen kennt Prof. Dr. Karlheinz Sonntag, der Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg. Er forscht mit seinem Team seit vielen Jahren zu Veränderungsprozessen in Betrieben und ihren Folgen für die Menschen. Wir wollten von ihm wissen, wie sich die Digitalisierung und andere Megatrends auswirken und wie gesunde Arbeit in der Zukunft aussehen kann.

Talente: Herr Prof. Dr. Sonntag, Gesundheit ist zum Megatrend geworden. Warum hat das Thema heute auch für die Unternehmen eine immer größere Relevanz? Karlheinz Sonntag: Dazu tragen zwei grundlegende Entwicklungen bei: Die voranschreitende Digitalisierung schafft große Handlungsspielräume und Flexibilität – sie bringt aber auch ständig neue Anforderungen für die Firmen und ihre Belegschaften. Gleichzeitig führt der demografische Wandel zu einem knapperen Angebot an Arbeitskräften und bewirkt, dass wir immer später in Rente gehen werden. Für den künftigen Erfolg der Unternehmen ist es deshalb essenziell, dass ihre Mitarbeiter bis ins hohe Beschäftigtenalter gesund, lern- und leistungsfähig bleiben. Vor allem die psychische Gesundheit scheint aber zunehmend gefährdet zu sein. In einer aktuellen Studie der Universität St. Gallen geben 23 Prozent der Befragten an, sie seien von den Auswirkungen der Digitalisierung emotional erschöpft. Die Statistiken der Krankenkassen weisen die psychischen Erkrankungen zwischenzeitlich als die zweithäufigste Diagnose aus, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Macht uns die Arbeit heute psychisch krank und depressiv? Wenn Menschen aufgrund von psychischen Erkrankungen bei der Arbeit ausfallen, bedeutet dies nicht, dass die moderne Arbeitswelt auch ursächlich für die Erkrankung ist. Krankheitsbilder wie Depressionen, Angststörungen oder allgemeine Erschöpfungssyndrome haben vielfältige Ursachen. Dabei spielen traumatische Erlebnisse, fehlende emotionale Sicherheit oder körperliche Erkrankungen eine Rolle, aber auch Überlastungssituationen im Spannungsfeld zwischen Arbeit, Familie

und Freizeit. Sie alle können das Risiko einer Erkrankung begünstigen, insbesondere wenn genetische Prädispositionen vorhanden sind. Um solche Überlastungssituationen zu verringern, hat der Gesetzgeber die Firmen dazu verpflichtet, nicht nur körperliche Belastungen zu erheben, sondern auch eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Viele Betriebe sehen darin nur einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand ohne Nutzen. Haben sie recht? Unsere hoch dynamische Arbeitswelt bietet viele Chancen, aber eben auch Entwicklungen, die die Psyche der Menschen belasten können. Dazu gehören zum Beispiel der steigende Zeit- und Termindruck, die Erwartung, dass wir rund um die Uhr erreichbar sind oder auch eine zunehmende Informationsflut. Wenn sich die Menschen dadurch überfordert und zu sehr beansprucht fühlen, dann begünstigt das mittelfristig, dass sie krank werden. Und dadurch entstehen Nachteile für den Einzelnen und die Unternehmen, die den Aufwand einer psychischen Gefährdungsbeurteilung eindeutig rechtfertigen. Sie plädieren für einen ganzheitlichen, ressourcenorientierten Gesundheitsansatz. Was ist damit gemeint? Ein modernes Human Resources- und Gesundheitsmanagement sollte sich nicht darauf beschränken, körperliche und psychische Belastungen bei der Arbeit zu reduzieren. Wichtig ist, die Aufmerksamkeit auch auf alles zu richten, was die Gesundheit der Mitarbeiter fördert und sie auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereitet. Das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) muss Teil der Unternehmensstrategie werden und auch die Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung miteinbeziehen.

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Universität Heidelberg

„Gesundheitsförderung muss Teil der Unternehmensstrategie werden“

Kontakt Prof. Dr. Karlheinz Sonntag Telefon: 06221 54-7320 karlheinz.sonntag@psychologie. uni-heidelberg.de Universität Heidelberg Arbeits- und Organisationspsychologie Hauptstraße 47 – 51 Raum 121 69117 Heidelberg www.ao.uni-hd.de

Hilfreiche Ressourcen zur Gesundheitsförderung können zum Beispiel persönliche Fähigkeiten und Kompetenzen der Beschäftigten, Bewältigungsstile, organisatorische Rahmenbedingungen oder eine mitarbeiterorientierte Führungskultur sein. Aber auch das individuelle Gesundheitsverhalten spielt eine Rolle. Lassen sich diese Empfehlungen auch auf kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) übertragen? Wie vorbeugende Gesundheits- und Fördermaßnahmen in kleineren Betrieben idealerweise aussehen, dazu gibt es bisher kaum Forschungsergebnisse und auch nur wenige Vorbilder. Im Rahmen des Projekts „MEgA – Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen“ setzen wir uns gemeinsam mit Partnern aus ganz Deutschland damit auseinander. Wir untersuchen zum Beispiel auch, ob die Studienergebnisse zu körperlichen und psychischen Belastungen, die in Großbetrieben erhoben wurden, genauso für die KMU zutreffen. Unabhängig von der Größe gilt jedoch: Jedes Unternehmen ist anders. Gerade kleinere Betriebe sollten sich aufgrund ihrer begrenzten Mittel sehr differenziert damit auseinandersetzen, welche Belastungen und Ressourcen in ihrem Fall wirklich relevant sind – bevor sie präventive Maßnahmen ergreifen.


Gute Praxis

Die FEMOS gGmbH wurde 1989 gegründet, um Menschen mit Behinderung ein dauerhaftes und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Sie betreibt vier CAP-Supermärkte, eine Möbelhalle, ein Hilfsmittellogistikcenter der AOK sowie eine Wertstoffsortierung. Am Hauptsitz in Gärtringen werden außerdem Ladungsträger und Elektrobaugruppen gefertigt. Durch seine vielseitigen Arbeitsfelder kann der Integrationsbetrieb 165 Menschen mit unterschiedlichsten Fertigkeiten eine Arbeit anbieten. Er ist ein regulärer und wettbewerbsorientierter Marktteilnehmer – für seinen sozialen Auftrag wird er mit Mitteln aus der Ausgleichsabgabe gefördert. Bei dem Gärtringer Mittelständler legt man schon immer Wert darauf, die Arbeitsprozesse bestmöglich an die individuellen Fähigkeiten der Menschen anzupassen. Trotzdem hat der Betrieb 2013 einen hohen Krankenstand zu verzeichnen. Als zudem mehrere Beschäftigte über zu hohe Arbeitsbelastung klagen, ist der Geschäftsführer Wilhelm Kohlberger alarmiert. Der Diplom-Ingenieur und Arbeitspsychologe weiß, dass sich hohe Fehlzeiten und eine Mehrbelastung der Belegschaft gegenseitig bedingen. Um den Teufelskreis zu unterbrechen, soll die Förderung der Mitarbeitergesundheit verstärkt in den Mittelpunkt rücken. „Zunächst wollte ich jedoch ein möglichst objektives Gesamtbild sämtlicher Belastungsfaktoren haben“, erläutert er seine Überlegungen. Gemeinsam mit seinen Abteilungsleitern fällt er die Entscheidung, ein professionelles betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) zu etablieren. Der Firmenchef betraut eine Mitarbeiterin des betriebseigenen Sozialdienstes damit, die Ist-Analyse der vorhandenen Belastungsfaktoren anzugehen. Eine BGMArbeitsgruppe mit der verantwortlichen

Sozialarbeiterin, den Führungskräften, dem Betriebsrat und neun Mitarbeitervertretern wird das wichtigste Steuerungsgremium. Dem Führungskreis gelingt es, Freiwillige aus allen Abteilungen dafür zu gewinnen. Erste Maßnahmen zielen darauf ab, die vielfältigen Arbeitsplätze nach ergonomischen Gesichtspunkten zu optimieren. In der Belegschaft gibt es Bedenken – einige vermuten, dass durch die Arbeitsplatzanalysen vor allem die Produktivität gesteigert werden soll. Als konkrete Veränderungen zu Arbeitserleichterungen führen, lassen sich jedoch auch die Skeptiker überzeugen. Nach einem Jahr zeigen sich die ersten Auswirkungen – die Fehlzeiten sinken. Der Arbeitskreis und die projektverantwortliche Mitarbeiterin haben jedoch zu wenig Zeit, um das BGM kontinuierlich voranzutreiben. Es kommt zu Phasen, in denen wenig passiert. Als schließlich der Krankenstand wieder ansteigt, entscheidet man sich, die externe Gesundheitsmanagerin Annette Bantel-Kochan einzubinden. Sie soll nicht nur ihr Wissen einbringen, sondern für Kontinuität beim BGM sorgen. „Für den Erfolg braucht man einen langen Atem“, betont Wilhelm Kohlberger. Für äußerst wichtig hält er es außerdem, die Belegschaft, beispielsweise über den Newsletter der BGM-Gruppe, regelmäßig über Ziele und Maßnahmen zu informieren.

Foto Schuster

Bei FEMOS arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung Hand in Hand – rund die Hälfte der Belegschaft hat eine körperliche oder psychische Beeinträchtigung. Weil 2013 der Krankenstand besonders hoch ist und sich mehrere Mitarbeiter überlastet fühlen, investiert das Unternehmen seither konsequent in die Gesundheit seiner Beschäftigten. In jüngster Zeit geht es vor allem darum, psychische Belastungen zu verringern.

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Annette Bantel-Kochan, Geschäftsführerin anbako-BGM

Es gibt bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung oft Vorbehalte bei Mitarbeitern und Leitungspersonen, die befürchten, dass ihr persönliches Verhalten auf den Prüfstand kommt. Deshalb betone ich ausdrücklich: Es geht um die Erhebung von Belastungsprofilen an den jeweiligen Arbeitsplätzen und nicht um den einzelnen Mitarbeiter.«

Fotograf Dilger

Dranbleiben! – Erfolgreiches Gesundheitsmanagement erfordert einen langen Atem

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Wilhelm Kohlberger, FEMOS-Geschäftsführer

Die wachsende Bedeutung psychischer Belastungen war uns seit Langem bewusst. Ich verspreche mir einiges davon, die psychischen Gefährdungsfaktoren systematisch zu analysieren. Denn um die Verhältnisse möglichst gesundheitsgerecht zu optimieren und auch unsere Mitarbeiter in geeigneter Form zu stärken, reichen einzelne Rückmeldungen aus den Abteilungen nicht aus.«

Von einer neutralen Moderation durch die Dienstleisterin verspricht er sich weitere entscheidende Vorteile. Annette Bantel-Kochan startet Anfang 2016 und macht zunächst eine Bestandsaufnahme der bisherigen BGM-Maßnahmen. Die zertifizierte Auditorin für psychische Belastungen fragt auch die Belegschaft nach ihren Verbesserungsvorschlägen und neuen Ideen. Für den Herbst bereitet sie den Einstieg in die psychische Gefährdungsbeurteilung vor. Dazu wurden zunächst die Personalkennzahlen der einzelnen Bereiche analysiert. In zwei Abteilungen waren die Werte besonders auffällig, dort wurden anschließend Gruppenbefragungen durchgeführt. In weiteren Schritten sind dann Einzelinterviews zu verschiedenen Arbeitsplatztypen geplant.

Kontakt FEMOS gGmbH Robert-Bosch-Straße 15 71116 Gärtringen www.femos-zenit.de Ansprechpartner Wilhelm Kohlberger Geschäftsführer Telefon: 07034 2796-0 wilhelm.kohlberger@femos-zenit.de

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Gute Praxis

Das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) der Universität Stuttgart gehört zu den Besten in Deutschland, im vergangenen Jahr wurde diese Leistung mit dem Corporate Health Award ausgezeichnet. Die renommierte Einrichtung für Wissenschaft und Lehre engagiert sich in besonderem Maße dafür, attraktive und gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen anzubieten und ihre 5.600 Beschäftigten zu einem gesundheitsbewussten Verhalten zu befähigen. Zunächst als befristete Teilzeitstelle in der Abteilung Personalentwicklung eingerichtet, arbeiten zwischenzeitlich zwei Vollzeitkräfte im BGM der Hochschule. „In der ersten Phase haben wir uns vor allem darauf konzentriert, präventive Maßnahmen zur Bewegungsförderung und Stressprophylaxe anzubieten“, erläutert Pauline Vogel, die seit 2012 für Gesundheitsthemen bei der Universität verantwortlich ist. Im Laufe der Zeit hat sich das Themenspektrum in Richtung Personal- und Organisationsentwicklung weiterentwickelt.

Uli Regenscheit

Wichtiger Bestandteil des BGM ist der Arbeitskreis Gesundheit. Er bündelt die Blickwinkel aller wichtigen Akteure, die an der Hochschule mit Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung zu tun haben und dient als Ideen- und Ratgeber für die Gesundheitsmanagerinnen. Zweimal im Jahr werden

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Pauline Vogel, BGM-Verantwortliche

Wir wollen nicht nur gesundheitsschädliche Belastungen reduzieren, sondern die vorhandenen Gesundheitsressourcen stärken und erweitern. Die größte Ressource stellt jede Person selbst dar, denn Gesundheit hat sehr viel mit Eigenverantwortung zu tun. Mit Unterstützung des Gesundheitsmanagements sollen die Mitarbeiter dazu befähigt werden, die eigene Gesundheitsförderung in den Arbeitsalltag zu integrieren.«

hier die verschiedenen Anforderungen innerhalb der Hochschule diskutiert, aktuelle Kennzahlen bewertet und die Strategien für das künftige Vorgehen formuliert. 2012 hat der Arbeitskreis zum ersten Mal einen grundlegenden Zielkatalog verabschiedet. Darin wurde vereinbart, ein gemeinsam gelebtes Gesundheitsverständnis zu schaffen und darauf aufbauend die Arbeitsorganisation und -prozesse gesundheitsgerecht zu gestalten. Das Gesundheitsmanagement ist Teil der Personalentwicklungsstrategie, mit der die Universität attraktive Arbeitsbedingungen für alle ihre Beschäftigten schaffen will. Viele Maßnahmen sind so konzipiert, dass sie für ein Thema sensibilisieren und Impulse setzen, damit die Mitarbeiter anschließend in Eigeninitiative weitermachen können. Mit der sogenannten „Kraftpause“ soll beispielsweise die aktive Pausengestaltung gefördert werden. Dafür können interessierte Mitarbeiter mit dem Theraband und unieigenen Übungsanleitungen in Gruppen gemeinsam trainieren. Ein Meilenstein war auch die Einführung der Mitarbeiter-, Führungskräfte- und Teamberatung (MFT-Beratung). Sie macht es möglich, sich in besonders schwierigen Situationen wie Krisen und Konflikten, bei Suchtproblemen oder zur Integration psychisch kranker Mitarbeiter durch externe Experten unterstützen zu lassen. Es können beispielsweise Einzel- oder Gruppencoachings gebucht, ein externer Moderator hinzugezogen oder eine Mediation beantragt werden. Auch die Integration psychischer Belastungsfaktoren in die Gefährdungsbeurteilung ist ein wichtiges Ziel der Hochschule. In einem Pilotprojekt zu psychischen Belastungen fanden bisher mehrere Workshops mit rund 40 Mitarbeitern aus der Verwaltung statt. Die Teilnehmer gehören alle zu einer Abteilung, die sich Unterstützung gewünscht hatte, um die Folgen struktureller und organisatorischer Veränderungen besser zu bewältigen. Die Mitarbeiterinnen des Gesundheitsmanagements verstehen sich in erster Linie als Beratungseinheit, die mit fachlichem Input bei sämtlichen gesundheitsrelevanten Fragen unterstützt. Experten für die Rahmenbedingungen und verantwortlich für die Umsetzung sind jeweils die Vorgesetzten in den Instituten und Teams vor Ort.

Uli Regenscheit

Exzellente Forschung und Lehre braucht gesunde Mitarbeiter

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Nadine-Aimée Bauer, Leiterin Personalentwicklung

Für den Erfolg des BGM ist es ausschlaggebend, die Leitungsebene für einen Austausch zu gewinnen – das gilt insbesondere für sensible Themen wie die Erhebung psychischer Belastungsfaktoren. Weil es zunächst immer einen Mehraufwand bedeutet, müssen Führungskräfte vom langfristigen Nutzen der Maßnahmen überzeugt sein. Deshalb klären wir umfassend über die Zusammenhänge auf und suchen, wo immer es geht, den persönlichen Kontakt zu den Betroffenen. Hilfreich ist hierbei die enge Verknüpfung mit der Personalund Führungskräfteentwicklung.«

Eine besondere Rolle spielt das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), das im vergangenen Jahr im Fokus stand. Hier hat das BGM-Team nicht nur den organisatorischen Rahmen geschaffen und weiterentwickelt, sondern begleitet die Betroffenen während des gesamten Prozesses der Wiedereingliederung nach einer längeren Erkrankung. Zukünftig setzen die beiden Gesundheitsmanagerinnen verstärkt auf zielgruppenorientierte Angebote, um auf die individuellen Belastungen der verschiedenen Bereiche noch besser eingehen zu können. Kontakt Universität Stuttgart Abteilung Personalentwicklung Geschwister-Scholl-Straße 24d 70174 Stuttgart www.uni-stuttgart.de/gesundheit/ unigesund/ Ansprechpartnerin Personalentwicklung Nadine-Aimée Bauer nadine-aimee.bauer@ verwaltung.uni-stuttgart.de Ansprechpartnerinnen unigesund Pauline Vogel, Johanna Lönhoff gesundheitsmanagement@uni-stuttgart.de

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Seite 6 Projekt

Termine

Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen (MEgA) Speziell für KMU werden im Projekt MEgA Konzepte für ein modernes HR- und Gesundheitsmanagement erarbeitet. Sie beinhalten praxisnahe Handlungsempfehlungen, die zum Alltag der kleineren Betriebe passen. Interessierte Firmen können ab Ende März 2017 an einer Befragung teilnehmen und erhalten im Gegenzug dazu eine umfangreiche Toolbox für ihr HRund Gesundheitsmanagement, die nach und nach erweitert wird. Mehr Informationen und Teilnahme unter http://gesundearbeit-mega.de

vitawell 2017 – Betriebliche Gesundheitsvorsorge Am 18. und 19. Februar 2017 präsentieren bei der Göppinger Gesundheitsmesse vitawell Anbieter ihre Produkte und Dienstleistungen rund um die Themen Medizin, Gesundheit, Wellness, Wohlbefinden und Fitness. Als Themenschwerpunkt wird 2017 die betriebliche Gesundheitsvorsorge aufgegriffen. Für interessierte Unternehmensvertreter findet ergänzend dazu am Samstag ein Vortragsprogramm zum Thema statt. Weitere Infos unter www.vitawell-gp.de

Im Dialog mit den Experten der aktuellen Talente-Ausgabe Am 7. Februar 2017 lädt die WRS alle Interessierten dazu ein, das Thema gesunde Mitarbeiter weiter zu vertiefen. Das Forum bietet Vorträge, Gelegenheit zur Diskussion und Zeit zum persönlichen Austausch mit dem Arbeits- und Organisationspsychologen Prof. Dr. Karlheinz Sonntag sowie den Vertretern der beiden Praxisbeispiele. Es findet ab 15:30 Uhr im Internationalen Begegnungszentrum der Universität Stuttgart statt. Anmeldung bis zum 3. Februar 2017 unter wrs.region-stuttgart.de/ talenteforum/gesundemitarbeiter

Staufen Plus, Sabrina Bodor

Talente-Forum

Netzwerk BEM-Praxisclub bietet Praktikern Austausch und Training Verantwortlichen für das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) bietet der Club eine Plattform, um Wissen und Erfahrungen zu teilen. Im Rahmen von kollegialen Fallberatungen steht das Training der BEM-Gespräche im Fokus. Das nächste Treffen speziell für neue Teilnehmer findet am 13. Februar 2017 statt. Interessierte Praktiker melden sich bei gailus.ORG, Verena Hoppe, 0711 50 45 39 88, kontakt@gailus.org.

Health Convention – Impulsvorträge „Arbeit im Wandel“ Aktuelle Entwicklungen und Trends im Gesundheitsmanagement stehen im Mittelpunkt einer WRS-Informationsveranstaltung auf der Health Convention. Die größte Plattform zum Thema Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland findet am 9. und 10. Mai 2017 auf der Stuttgarter Landesmesse statt. Weitere Informationen dazu gibt es in Kürze unter fachkraefte.region-stuttgart.de/ termine.

Zum Weiterlesen www.inqa.de Unter dem Suchbegriff „Publikationen“, Filter „Gesundheit“ finden Sie vielfältige Veröffentlichungen der „Initiative Neue Qualität für Arbeit” (INQA), beispielsweise den „Leitfaden zum Screening Gesundes Arbeiten – Physische und Psychische Gefährdungen erkennen“ oder den Selbstcheck für Unternehmen „INQA-Check Gesundheit“. www.gda-psyche.de Das Webportal bietet umfangreiche Informationen und Handlungshilfen zum Thema Arbeit und Psyche, zusammengestellt vom Arbeitsprogramm Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie.

Impressum Die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) ist zentraler Ansprechpartner für Investoren und Unternehmen in der Stadt Stuttgart und in den fünf umliegenden Landkreisen bei allen standortrelevanten Fragen. Dabei arbeitet die WRS intensiv mit den Wirtschaftsförderern der 179 Kommunen und sechs Kreisen der Region zusammen. Einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit ist es, die regionalen Unternehmen bei der Fachkräftesicherung zu unterstützen.

Herausgeber Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) Friedrichstraße 10 70174 Stuttgart Geschäftsführer Dr. Walter Rogg wrs.region-stuttgart.de fachkraefte.region-stuttgart.de Verantwortlich Dr. Sabine Stützle-Leinmüller Telefon 0711 2 28 35-42 sabine.stuetzle@region-stuttgart.de

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Redaktion Leitung: Kathrin Engelhard Telefon 0711 2 28 35-28 kathrin.engelhard@regionstuttgart.de Text: Monika Nill Telefon 0711 6019 39-05 hainzl.nill@t-online.de Gestaltung www.projektgruppe.de Nächste Ausgabe April 2017

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