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Was "von unten" und klein begonnen hat, ...

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... wurde inzwischen zu einer Massenbewegung.

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Täglich wächst die Zahl der Demonstranten und weitet sich von New York auf andere US-Metropolen aus.

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Begonnen hatte alles am 17. September. Ein sonniger Tag in New York. Im kleinen Zucotti-Park in Manhatten versammeln sich eine Handvoll Demonstranten. Nicht zufällig befindet sich die Anlage in unmittelbarer Nähe der New Yorker Wall Street. Während sich die Finanzelite hinter den Absperrungen verschanzt, nimmt die Zahl der Protestierenden zu. Heute sind es bereits Tausende, die gegen eine Liste von Unstimmigkeiten ihre Stimme erheben. Denn, so der Tenor, in den USA und im Rest der Welt läuft einiges gründlich falsch: Zwangsversteigerungen, Arbeitslosigkeit, Klima- und Sozialpolitik sowie die Banker-Boni.

Vorbild für den Massenauflauf sind der arabische Frühling, Proteste in Spanien und in Griechenland. Die "Occupy-Wall-Street"- Bewegung in New York ist eine bunte Truppe aus Kreativen, Alternativen, Menschen von der Straße. Gefunden haben sie sich im Internet über Facebook oder Twitter. Während die US-Medien die Proteste zunächst noch weitgehend ignorierten, und sich die "New York Times" gar über die "luftdünne Bewegung" lustig gemacht hatte, schicken nun immer mehr Fernsehstationen ihre Kamerateams an den Ort des Geschehens. Denn die Ausläufer der Proteste könnten sich noch bis in den Winter ziehen, wie manche der Campierenden betonen.

Wohl auch einer der Gründe für die New Yorker Künstlerin Iva Radivojevic, die Proteste selbst zu besuchen und Stimmen der Menschen in einem Video-Blog einzufangen.

Nobody Can Predict The Moment Of Revolution from ivarad on Vimeo.

Noch sind die politischen Forderungen durch ihre Vielfältigkeit insgesamt sehr vage und eher ein Symbolakt des Unmuts, die Bilder gehen dennoch um den Globus. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit wird eine friedliche Demonstration am Wochenende auf der Brooklyn Bridge gewaltsam aufgelöst, hunderte Menschen vorübergehend festgenommen. Ohne konkreten Anlass werden Demonstranten mit Pfeffersprays besprüht (derStandard.at berichtete), Menschenketten brutal auseinandergerissen. Gleichzeitig erhalten die "Besetzt-die-Wall-Street"-Anhänger prominente Unterstützung. Die Schauspielerinnen Susan Sarandon und Roseanne Barr beispielsweise mischen sich gleichfalls unter die Menge wie Filmemacher Michael Moore. Da Megafone in dieser Gegend, konkret in der Liberty Street, verboten sind, wiederholen hunderte Menschen in Sprechchören jeden einzelnen seiner Sätze. Auch US-Großinvestor George Soros hat seine Sympathie für die Protestbewegung bekundet. "Offen gesagt kann ich ihre Gefühle verstehen", so der 81-Jährige.

Nobelpreisträger spricht von Krieg

Die bisher größte Bedeutung für die "Occupy-Wall-Street"-Bewegung wird jedoch dem Besuch des Wirtschaftsnobelpreisträgers Joseph Stiglitz beigemessen. Er spricht auf dem Platz zwischen Wall Street und World Trade Center von einem Krieg gegen die Mittelklasse des Landes und ermutigt die US-Bürger, mehr Druck auf die Abgeordneten auszuüben. Er fordert unter anderem höhere Steuern für die Wohlhabenden des Landes. Die leben bekanntermaßen nicht nur in New York. Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass sich die Protestaktionen mittlerweile auf andere US-Metropolen  ausgeweitet haben. In Boston, Los Angeles und Chicago versammelten sich bereits hunderte Menschen mit denselben Anliegen. Selbst in Deutschland, am Finanzplatz Frankfurt, könnte es demnächst Demonstrationen geben, vermuten Insider.

Das, was sich derzeit in New York abspielt, ist ein explosiver Cocktail aus Ängsten und Volkszorn. Wie übermächtig sind die Banken, wie erpressbar die Politik? Als der damalige US-Finanzminister Henry Paulson im September 2008 beschließt - anders als bei Bear Stearns und den Immobilienfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac - die US-Investmentbank Lehman Brothers fallen zu lassen, reagiert der komplette Bankensektor regelrecht schockgefrostet. Die Fehlentscheidung Paulsons geht als kostspieligstes Finanz-Experiment in die Geschichte ein. Weltweit straucheln - auch die namhaftesten - Banken, keine borgt der anderen mehr auch nur einen einzigen Cent, ein weltweiter Finanztsunami folgt. Der amtierende US-Präsident George W. Bush scherzt bei einem Dinner im Jahr 2008: "Die Wall Street war betrunken und hat jetzt einen Kater." Eine Anspielung auf die Abhängigkeit der Banken von komplexen Finanzprodukten. Und als wäre es nicht genug, legt er noch nach: Die Frage sei nun, wie lange sie bräuchten, bis sie trocken werden.

Nach unzähligen Staatshilfen und Geldzuschüssen aus Regierungskassen ist die Zeit der Demut bei Bankern und Managern rasch verflogen. Nach Berechnungen des "Wall Street Journal" zahlten die 25 führenden US-Banken und US-Investmenthäuser Anfang dieses Jahres 135,5 Milliarden Dollar an Grundgehältern und Boni aus - das entspricht einer Steigerung von knapp sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zwar wird heute aufgrund einer neuen Regelung nur ein Bruchteil der Vergütungen in bar ausgezahlt und beschränkt sich auf zehn bis 20 Prozent der Gesamtsumme, das Unverständnis in der Bevölkerung wächst dennoch und mit ihr die Menschenmenge vor der Wall Street: Draußen eine empörte Menge, drinnen eine abgeschottete Elite.

1652 wurde im Norden der Stadt, damals noch New Amsterdam, ein Wall quer über die Insel zum Schutz vor Indianer-Überfällen aufgeschüttet und gab der heutigen Straße ihren Namen. Ein Wall ist sie auch heute. Wie sich die Dinge doch wiederholen. (Sigrid Schamall, 4.10.2011)