„Optimisim … Temporarily closed.“ Selten wurde die Stimmung der gesamten Weltbevölkerung so pointiert in einem Bild eingefangen wie in der Fotografie Nick Boltons. Das zeigt wieder einmal, dass Mensch und Natur grundlegend verschieden ticken, hat die Corona-Pandemie doch in vielen Bereichen der Natur für eine regelrechte Renaissance des Optimismus gesorgt.

Senckenberg Forscher*innen über Corona


„Niemand fordert Menschen auf, dauerhaft im Lockdown zu bleiben. Aber womöglich werden wir feststellen, dass relativ geringfügige Änderungen unseres Lebensstils und unserer Infrastruktur zu erheblichen Vorteilen für Ökosysteme und Menschen führen.“ (Prof. Dr. Martin Wikelski)

Senckenberg-Wissenschaftler*innen arbeiten an einer Reihe von Fragestellungen, die die weltweit grassierende Corona-Pandemie betreffen. Wir erforschen, wie sich Corona auf Tierbewegungen auswirkt und wie mittels Genetik der Handel mit Wildtieren, die COVID-19 übertragen, eingeschränkt werden könnte. Darüber hinaus untersuchen unsere Wissenschaftler*innen die Ausbreitung anderer Tierarten, die Viren auf Menschen übertragen und arbeiten daran, beantworten zu können, ob Corona der Natur nützt und welchen Wert biologische Vielfalt für menschliches Wohlergehen hat.

pm auswirkung wildtiere 22.6.2020
Weltweit haben Biolog*innen Tiere mit Mini-Sendern ausgestattet, um Informationen zur Bewegung und zum Verhalten von Tieren zu sammeln.

Wie wirkt sich der Corona-Lockdown auf Tierbewegungen aus?

Um die Ausbreitung der COVID-19 Pandemie zu stoppen, haben viele Länder die Bewegungsfreiheit ihrer Bevölkerung eingeschränkt. Die neue „COVID-19 Bio-Logging Initiative“, an der Wissenschaftler*innen der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und der Universität Konstanz beteiligt sind, untersucht, wie Tiere auf den Rückgang der menschlichen Aktivität reagiert haben. Dazu wurde die Bewegung verschiedener Tierarten vor, während und nach der Corona-Krise mittels Mini-Sendern verfolgt. Wie das Team im Fachmagazin „Nature Ecology & Evolution“ schreibt, sollen anhand der Ergebnisse Strategien für ein besseres Miteinander von Mensch und Tier entwickelt werden. 

03.09.2020, Deutschlandfunk, Sendung: Aus Kultur und Sozialwissenschaften

Mensch-Tier-Beziehungen in Corona-Zeiten

Prof. Dr. Thomas Müller leitet die Arbeitsgruppe Bewegungsökologie und Biodiversitätsschutz am SBiK-F und ist Professor an der Goethe-Universität Frankfurt. Er erforscht Tierbewegungen, die oft durch zunehmend fragmentierte Landschaften gefährdet sind. Als Beispiel dienen ihm hierfür Fernwanderungen von Gazellen in den östlichen Steppen der Mongolei, soziales Lernen ziehender Kraniche in den USA oder die Bewegungen von Trompeterhornvögeln in den fragmentierten Landschaften Südafrikas.

Übermäßiger Ressourcenverbrauch, Umweltverschmutzung, Zerstörung von Lebensräumen und Artensterben. Der Mensch übt seit Mitte des 20. Jahrhunderts einen so gewaltigen Einfluss auf die Erde aus, dass die Wissenschaft ein neues Zeitalter ausrufen will: das Anthropozän.

Eine Medizin für die Erde

Die Zukunft unseres Planeten und der Menschheit wa­ren der sensiblen wie exzentrischen Pop-­Ikone Michael Jackson alles andere als egal. In seinem „Earth Song“ von 1995 fragt er uns „What have we done to the earth?“ oder „Do we give a damn?“. Der implizite Vorwurf ist berechtigt, denn es scheint uns nicht zu kümmern, was mit unserer Erde geschieht. Dies gilt jedoch nicht für die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung: Wir for­schen für Ihr und unser Leben gern – und wir setzen uns in der Tat intensiv damit auseinander, was wir Menschen mit der Erde anstellen!

Volker Mosbrugger, seit 2005 Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, leitet gemeinsam mit dem Direktorium die operativen Geschäfte der Gesellschaft mit dem erklärten Ziel, durch die im Forschungsprogramm festgeschriebene ganzheitliche Geobiodiversitätsforschung einen sichtbaren Beitrag zur Bewältigung der großen Herausforderungen des Anthropozäns zu leisten.

Wie schon viele Krankheitserreger zuvor soll auch das neuartige Coronavirus (SARS-Cov-2) von wilden Tieren auf den Menschen übertragen worden sein. Der mittlerweile geschlossene Huanan Seafood Wholesale Market in Wuhan steht dabei symbolisch für das steigende Gesundheitsrisiko, das der menschliche Kontakt zu wilden Tieren mit sich bringt.  

Was kann man aus der Wildtiersequenzierung über Corona lernen?

Jedes Jahr werden mit dem illegalen Handel von Wildtieren Milliarden von Dollar erwirtschaftet – übertroffen werden diese Summen auf dem Schwarzmarkt nur noch vom Geschäft mit Drogen, gefälschten Produkten und Menschen. Wildtiergenetiker wie Stefan Prost wenden bei ihrer Arbeit forensische Methoden an, um geschützte Tierarten zu identifizieren und deren Handelsketten aufzudecken. Dass solch eine Nachverfolgung auch wichtig für die menschliche Gesundheit ist, wird in Zeiten des Coronavirus deutlich.

Vortrag von Dr. Stefan Prost zum Thema „Pandemie, Wildtierhandel und Zoonosen“

Stefan Prost hat nach seinem Biologiestudium in Wien an der University of Otago, Neuseeland, promoviert und sich zunächst mit alter (“fossiler”) DNA beschäftigt. Seine Forschungsinteressen führen den Spezialisten für genetisches Barcoding und Monitoring darüber hinaus in die entlegensten Regionen dieser Welt. Vor Ort betreibt er extensive Feldforschung und führt im Zuge des „local capacity buildings“ Schulungen zur Ausbildung von Studierenden, Fachkräften und interessierten Laien mit dem Ziel der Erhebung von Biodiversitäts-Daten durch.

pm ebola 7.9.2020
Vergleich modellierter Lebensraum (rot) und Verbreitung nach IUCN (schraffiert) der neun potenziellen Reservoirwirte des Zaire ebolavirus a) Epomops franqueti, b) Hypsignathus monstrosus, c) Myonycteris torquata, d) Eidolon helvum, e) Epomophorus gambianus, f) Lissonycteris angolensis, g) Micropteropus pusillus, h) Mops condylurus, i) Rousettus aegyptiacus. Copyright: Koch, L.K. et al.

Wie wahrscheinlich sind Zoonosen?

Eine Infektion mit dem Zaire ebolavirus, das ähnlich wie COVID-19 von Tieren auf Menschen überspringen kann, endet meist tödlich. Das Virus wird vermutlich durch verschiedene Flughund- und Fledermausarten übertragen. Wissenschaftler*innen der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Goethe-Universität haben im Jahr 2020 erstmals modelliert, wo diese Arten in Afrika leben könnten. Die Ergebnisse der im Fachblatt „Scientific Reports“ veröffentlichten Studie legen nahe, dass die Flughund- und Fledermausarten ein größeres Verbreitungsgebiet haben, als bislang angenommen wurde. Die Modellierung soll helfen, das Auftreten von Ebola künftig besser abzuschätzen, vorherzusagen und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. 

Landschaft Natur Unsplash Stockfoto
„Artenverlust ist mindestens so schlimm wie Klimawandel; sie sind zwei Facetten desselben Phänomens: Der Mensch übernutzt die Natur. Nur liegt die Aufmerksamkeit bisher stärker auf dem Klimawandel.“

Welche Chance bietet Corona der Natur?

Dr. Katrin Böhning-Gaese untersucht in ihrer Forschung, wie sich der Klimawandel und Landnutzungsänderungen auf die Artenvielfalt auswirken. In einem Interview spricht die Biologin nicht nur über die Gefahren des Artenschwundes, sondern erläutert ebenfalls, welche Chancen die Corona-Krise sowohl für die Natur als auch Volkswirtschaften bietet. 

 

Löwe Unsplash Stockfoto
„Wildlife watching can be highly an emotional and educational experience. While scientific studies up to the year 2000 examined solely negative effects of interactions between humans and wild animals, more and more analyses now capture the positive effects on humans.“

Welchen Wert hat biologische Vielfalt für menschliches Wohlergehen?*

In der Corona-Pandemie gewinnt der Aufenthalt in der Natur für viele Menschen an Wert. Aber auch sonst stehen viele Menschen  in täglichem Kontakt mit Wildtieren. Das Füttern von Vögeln zählt beispielsweise zu beliebten Aktivitäten diverser Haushalte; viele Menschen genießen es darüber hinaus, Wildtiere in der Natur zu beobachten. Teilweise nehmen Menschen ferne Reisen auf sich, um außergewöhnliche Wildtiere zu sehen. Senckenberg-Alumni Joel Methorst erläutert in seinem Artikel „Contributions of wildlife to human well-being in the scientific literature gaining in importance“ , wie der Einfluss von Wildtieren auf menschliches Wohlergehen derzeit wissenschaftlich mehr Aufmerksamkeit erhält.

*ausschließlich in Englisch verfügbar

Joel Methorst hat im Rahmen einer Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (idiv) an der Goethe-Universität Frankfurt promoviert. Dazu hat er am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum zum Thema: Welchen Einfluss haben Natur und Wildtiere auf menschliches Wohlergehen? geforscht.