Vitra Schaudepot: Ein neues Zuhause für die Kollektion des Vitra Design Museums

Mit der Eröffnung des Vitra Schaudepots ist der Vitra Campus nicht nur um ein weiteres Gebäude gewachsen. Das Vitra Design Museum hat sich auch den langjährigen Traum einer Ausstellungsfläche erfüllt, auf der es seine Kollektion in vollem Umfang präsentieren kann, oder zumindest umfangreicher, als es bisher möglich war.

Vitra Schaudepot by Herzog & de Meuron

Vitra Schaudepot von Herzog & de Meuron

Die Ursprünge der Vitra Kollektion gehen auf das Jahr 1981 zurück, als der damalige Vitra Geschäftsführer Rolf Fehlbaum begann, aus persönlichem Interesse historische Beispiele von Arbeiten von Charles Eames, Alvar Aalto und Jean Prouvé zu kaufen. Daraus wurde eine Sammlung von etwa 20 000 Objekten, inklusive etwa 7000 Stühlen und 1000 Leuchten aus verschiedenen Genres, Generationen und Teilen der Welt. Die Kollektion entwickelte sich zu einer der umfangreichsten und wichtigsten Sammlungen von Möbeln des 19., 20. und 21. Jahrhunderts.

Dennoch blieb die Kollektion im Keller des Bürogebäudes des Vitra Design Museums verborgen und wurde für die seltenen Momente aufgespart, in denen Objekte für eine Ausstellung benötigt wurden.

Damit war niemand zufrieden.

Als Marc Zehntner und Mateo Kries 2011 zu den gemeinsamen Direktoren des Vitra Design Museums ernannt wurden, ergab sich die Gelegenheit, die Richtung, die Funktion und das Präsentationskonzept des Museums zu überdenken. Vor allem konnten neue Projekte beginnen und so entstand zum Beispiel Raum für eine Dauerausstellung der Sammlung des Vitra Design Museums.

Rolf Fehlbaums ursprünglicher Plan war es, eine unterirdische Ausstellungsfläche neben der bestehenden Lagerfläche zu schaffen und so zu tun, als wäre es eine natürliche Erweiterung des bestehenden Platzes in den öffentlichen Bereich. Er fragte die in Basel ansässigen Architekten Herzog und de Meuron, ob sie Interesse hätten einen „Eingang“ für den neuen Raum zu gestalten. Hier muss man hinzufügen, dass Rolf Fehlbaum die Aufrichtigkeit und den Humor hat, zuzugeben, dass er mit solchen Ideen nur zu Herzog und de Meuron kommen kann, weil er sie schon so lange kennt.

Jacques Herzog und Pierre de Meuron überzeugten Rolf Fehlbaum allerdings davon, dass es besser wäre, überirdisch zu bauen, besonders weil ein ehemaliges Gebäude zur Stahlaufbewahrung neben den Büros des Vitra Design Museums nicht mehr genutzt wurde und so die perfekte, fertige Lösung bot. Oder geboten hätte, wäre es nicht in solch einem schlechten baulichen Zustand gewesen, dass eine Renovierung nicht möglich war. Daraufhin entwarfen Herzog und de Meuron stattdessen ein Gebäude von gleicher Größe und gleichem Volumen, in dem die Verbindung zwischen der öffentlichen Ausstellungsfläche – der „Schau“ an sich – und des nicht-öffentlichen Lagers des Vitra Design Museums – des „Depots“ – durch eine Öffnung in einer Wand entsteht, durch die der Besucher von oben nach unten schauen kann.

Vitra Schaudepot by Herzog & de Meuron

Vitra Schaudepot von Herzog & de Meuron

Mateo Kries erklärt, dass das Gebäude bewusst geschlossen und ohne Fenster gebaut wurde, aus konservatorischer Perspektive ist jedes Fenster im Lager eines Museums eines zu viel. Das Schaudepot wurde aus Ziegelsteinen, die vor Ort zerbrochen wurden und mit den raueren, zerbrochenen Ecken nach außen zeigen, errichtet. So wurde in der Praxis bereits in der Vergangenheit vorgegangen und laut Jacques Herzog wird so weniger ein Mauerwerk- und mehr ein Stoffeffekt erzielt. Außerdem erinnert es uns in vielerlei Hinsicht an die sogenannte Quetschfuge, die Egon Eiermann dazu nutzte, um dem Äußeren seines Projekts Wohnhaus Matthis 1937 in Potsdam eine physische 3D-Struktur zu verleihen. Das Vorgehen sorgt mit wenig Wirbel, Ressourcen und Geld für einen reizvollen Effekt und könnte auch etwas damit zu tun haben, wie das Gebäude das Licht reflektiert. Unter der warmen Junisonne fühlten wir uns wie am Set eines Western und das Schaudepot verströmte den vertrauten, seltsam einladenden Charme einer langsam zerfallenden Finca in New Mexiko. Wir haben den Verdacht, dass es sich unter dem grauen Winterhimmel in Weil am Rhein ganz, ganz anders anfühlen wird. Wir erwarten Scandinavian Noir, was genauso einladend und verlockend wäre.

Mit einem Satteldach ähnelt das Vitra Schaudepot nicht nur einem „Zuhause“, sondern nimmt auch Bezug auf das ebenfalls von Herzog und de Meuron entworfene VitraHaus und ist ein ruhiges, bescheidenes Gebäude, leicht zu verfehlen und doch fast nicht zu ignorieren. Es ergänzt sehr gut die benachbarten Büros des Vitra Design Museums, Zara Hadids Feuerwehrhaus und Nicholas Grimshaws Fabrikgebäude, es widerspricht ihnen und stellt so eine ausgezeichnete Neuerung auf dem Vitra Campus dar.

Außerdem eröffnet das neue Schaudepot den Vitra Campus und Rolf Fehlbaum spricht davon, dass das Projekt dem Campus einen neuen Charakter verleiht. Damals forderten wir, Rolf Fehlbaum solle den Zaun rund um den Vitra Campus abreißen, um die architektonischen Ausstellungsobjekte zugänglicher zu machen. Vitra ist dem nicht nachgekommen, aber mit der Errichtung eines neuen Zauns, um den industriellen Teil des Komplexes mehr einzugrenzen, haben sie den direkten Zugang zum Feuerwehrhaus und das benachbarte Schaudepot ermöglicht… und jetzt verstehen wir endlich den Álvaro-Siza-Weg. Als er 2014 eröffnet wurde, dachten wir, es wäre ein netter Weg. Aber jetzt verstehen wir ihn, verstehen die weitreichende Denkweise hinter dem Projekt und wie es den Campus physisch und konzeptuell verbindet und all das ohne selbst zu dominant zu sein. Oder, wie wir in unserem damaligen Post schrieben, „Es handelt sich also tatsächlich nur um einen Weg“.

The Vitra Fire Station by Zaha Hadid and the Vitra Schaudepot by Herzog & de Meuron

Das Vitra Feuerwehrhaus von Zaha Hadid und das Vitra Schaudepot von Herzog & de Meuron

Innen ist der Name Programm, es ist ein Lager. Etwa 400 Objekte aus über 100 Jahren Designgeschichte wurden chronologisch in Regalen auf drei Ebenen angeordnet. Sie repräsentieren den Wandel im Verständnis für Ästhetik und Form, Veränderungen in den Bereichen Technologie und Materialien und Entwicklungen im Bereich Funktion und der kulturellen Relevanz von Möbeln. Es geht hauptsächlich um Stühle und wir denken, der Grund dafür ist, dass es in unserer materiellen Welt wenig gibt, das einen solchen Wandel so gut und so deutlich zeigt wie der „einfache“ Stuhl. Es gibt aber auch Tische, Regale und Sideboards. Allerdings erschwert die Anordnung auf drei Ebenen die Sicht auf Details in der obersten Reihe, wenn sie sie nicht sogar unmöglich macht. Als Ausstellungskonzept ist es wahrscheinlich nicht ideal, besonders für Objekte, die oft sowohl technisch als auch formal, kulturell und historisch interessant sind. Räumlich ist es allerdings wichtig, da niedrigere Regale im Raum verloren gehen würden. Außerdem kann das Museum so etwa ein Drittel mehr Objekte ausstellen, was der Grundidee des Museums durchaus zuträglich ist.

Es ist ein Kompromiss. Aber so ist das Leben.

Da Glasböden genutzt werden, sind zumindest die Unterseiten von den Objekten auf dem höchsten Regalboden deutlich zu sehen und auch die Unterseite eines Möbelstücks kann genauso interessant und wichtig sein, wie seine anderen Seiten. Wir ernten regelmäßig Kränkungen und Spott, weil wir die Unterseite von Stühlen betrachten – besonders in Restaurants und Bars. Wenn mehr Menschen die Gelegenheit dazu bekommen und die Wunder verstehen, die einen da erwarten, wird uns in Zukunft hoffentlich mehr Respekt und Verständnis entgegengebracht. Das etwas umständliche Präsentationsformat wird durch die Digitalisierung der Sammlung des Vitra Design Museums aufgelockert. Der Katalog ist im Museum entweder per Smartphone oder über ausleihbare, tragbare Geräte frei zugänglich. Er bietet ausführliche Informationen zu allen Objekten und ihren Designern und ermöglicht so jedem Besucher, das zu erfahren, was er erfahren möchte.

The Vitra Schaudepot

Das Vitra Schaudepot

Wenn man das „was“, „wo bin ich?“ und „warum“ überwunden hat, ermöglicht die Ausstellung einen sehr gut strukturierten, realistischen, ehrlichen und informativen Rundgang durch die Geschichte des Möbeldesigns und zwar nicht nur durch die bekannten Klassiker, sondern auch durch Kuriositäten, Raritäten, konzeptuelle Sackgassen und Objekte, die zu bekannten Klassikern werden. Es handelt sich aber wirklich um viele Möbel, die in Regalen ausgestellt sind, und man muss Interesse daran haben, um von einer Reise ins Vitra Schaudepot in vollem Umfang zu profitieren. So wie wir. Wir würden gern ein Zelt im Vitra Schaudepot aufschlagen und unseren Sommerurlaub dort verbringen. Das machen wir vielleicht auch. Für andere bleibt das alles vielleicht eine große Menge Stühle in Regalen, aber man muss annehmen, dass diejenigen, die das Vitra Design Museum besuchen möchten, Interesse daran haben.

Unten wird die „Schau“ zum „Depot“ und die Besucher bekommen buchstäblich einen Einblick in die Tiefen der Sammlung des Vitra Design Museums. Hinter Glasflächen sieht der Besucher Reihen von Objekten, die in vier Gruppen eingeteilt wurden: Skandinavisches Design, italienisches Design, Lichtdesign und Eames Design. Letzteres wird durch eine Präsentation von Charles Eames‘ Büro ergänzt. Im unteren Bereich besteht außerdem die Möglichkeit, verschiedene Materialarten zu entdecken und vor allem auch anzufassen, die üblicherweise in der Möbelproduktion verwendet werden. Die obere Fläche bietet Raum für ein wechselndes Programm von „Ausstellungen“, die Aspekte der Sammlung des Museums und somit die Geschichte des Möbeldesigns hervorheben. Die erste Ausstellung befasst sich mit dem „Radical Design“ aus dem Jahr 1960.

Wie bereits erwähnt würden wir im Vitra Schaudepot gern Urlaub machen und haben tatsächlich schon „Zelte für den Innenbereich“ gegoogelt. Für die Mehrheit ergibt es wahrscheinlich wenig Sinn, den Vitra Campus nur wegen des Vitra Schaudepots zu besuchen, weil das Thema zu spezifisch ist. Als Erweiterung der bestehenden Möglichkeiten auf dem Vitra Campus und vor allem der Ausstellungen in dem von Frank Gehry entworfenen Vitra Design Museum, ist das Vitra Schaudepot aber eine hervorragende Entwicklung. Es erklärt nämlich auch das Vitra Design Museum – also wie es funktioniert, was es macht, als was es sich selbst versteht, wie es Möbeldesign versteht und warum es all das so vielen Menschen wie möglich vermitteln will. Oder wie Mateo Kries sagt, hilft es dem Vitra Design Museum sich „zu einem noch lebendigeren Ort, der die wichtigen Themen und Fragen des Designs nicht nur ausstellt, sondern auch zur Debatte stellt und sie in Erlebnisse für den Besucher verwandelt“ weiterzuentwickeln.

Wir empfehlen das Kombiticket. Und natürlich den Vitra Rutschturm.

Alle Informationen zum Vitra Schaudepot, inklusive Öffnungszeiten und Eintrittspreise gibt es auf www.design-museum.de.

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