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„Wie das Auftauen von Schneebällen im Winter“

Erstmals atomar aufgelöster Phasenübergang in ultrakalter Umgebung von Forschern der Freien Universität Berlin und der Universität Innsbruck beobachtet

Nr. 013/2017 vom 19.01.2017

Physiker der Freien Universität Berlin und der Universität Innsbruck haben erstmals Phasenübergänge bei ultratiefen Temperaturen atomar präzise vermessen können. Die beobachteten Prozesse seien vergleichbar mit dem Auftauen von Schneebällen im Winter, erklärt Dr. Albrecht Lindinger von der Freien Universität, der das Projekt gemeinsam mit Prof. Dr. Paul Scheier von der Universität Innsbruck leitet. Dieses Phänomen wurde vor allem für Bedeckungen von Helium auf fußballförmigen Kohlenstoffmolekülen untersucht, die in interstellaren Wolken vorkommen und eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Lebens gespielt haben könnten. „Die Messungen bilden eine wichtige Grundlage für die Beurteilung von astrophysikalischen Beobachtungen", sagt der Physiker. Die gewonnenen Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

„Helium ist die einzige Substanz, die unter Normaldruck selbst am absoluten Nullpunkt nicht fest wird“, erläutert Albrecht Lindinger. Anders sei dies, wenn Helium sich auf geladenen Teilchen ablagere. Dann könne sich auch bei niedrigem Druck eine feste Heliumschicht bilden. Diese sogenannten Atkins-Schneebälle wurden schon für einige einfache Teilchen nachgewiesen. Die Wissenschaftler um Dr. Albrecht Lindinger und Prof. Dr. Paul Scheier haben erstmals ultrakalte geladene Fullerene (hohle, geschlossene Moleküle, die sich fußballförmig anordnen) mit einer festen Heliumschicht überzogen. “Wir haben ultrakalte Heliumtröpfchen im Labor erzeugt, in denen die beinahe kugelförmigen Moleküle aus 60 Kohlenstoffatomen eingelagert und ionisiert wurden“, erklärt der Physiker. Mithilfe eines verstellbaren, schmalbandigen Laserstrahls konnten Absorptionsspektren erhalten werden, die Auskunft über den Zustand des Heliums geben. Die Teilchen wurden mit einem Massenspektrometer analysiert. So konnten die Wissenschaftler präzise den Übergang vom festen in den flüssigen Zustand vermessen und zeigen, dass Fullerene bis zu 32 Heliumatome aufnehmen können, bevor der feste Heliummantel um das Kohlenstoffmolekül aufzuschmelzen beginnt. Von mehr als 80 Atomen an habe sich das Absorptionsverhalten des molekularen Systems nicht mehr verändert, was mit dem Beginn fehlender Reibung erklärt werden könne, der sogenannten Suprafluidität. Mit umfangreichen theoretischen Simulationen konnten die Ergebnisse aus dem Labor bestätigt werden. Die charakteristische Schneeballstruktur und Hinweise für ein atomar genaues Aufschmelzen wurde von den Wissenschaftlern auch ohne Fullerene für ultrakalte Wasserstoffmoleküle um ein negativ geladenes Wasserstoffteilchen beobachtet; die Ergebnisse dieser Studie wurden in Physical Review Letters veröffentlicht.

Finanziell unterstützt wurden die Arbeiten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Europäischen Union.

Weitere Informationen

Die Publikationen

  • M. Kuhn, M. Renzler, J. Postler, S. Ralser, S. Spieler, M. Simpson, H. Linnartz, A. G. G. M. Tielens, J. Cami, A. Mauracher, Y. Wang, M. Alcamí, F. Martín, M. K. Beyer, R. Wester, A. Lindinger, P. Scheier (2016): "Atomically resolved phase transition of fullerene cations solvated in helium droplets", in: Nature Communications 7, 13550 (2016). DOI: 10.1038/ncomms13550
  • M. Renzler, M. Kuhn, A. Mauracher, A. Lindinger, and P. Scheier (2016): "Anionic hydrogen cluster ions as a new form of condensed hydrogen", in. Phys. Rev. Lett 117, 273001 (2016), chosen as PRL Editors´ Selection. DOI: 10.1103/PhysRevLett.117.273001

Kontakt

  • Priv.-Doz. Dr. Albrecht Lindinger, Institut für Experimentalphysik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 83-56120, E-Mail: lindin@physik.fu-berlin.de
  • Prof. Dr. Paul Scheier, Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck, E-Mail: paul.scheier@uibk.ac.at

 

 

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