Im SNS-Lab der Universität Zürich steht für ökonomische Experimente auch ein MRI-Gerät zur Verfügung. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Im SNS-Lab der Universität Zürich steht für ökonomische Experimente auch ein MRI-Gerät zur Verfügung. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Warum Menschen oft die «falsche» Entscheidung fällen

Die Neuroökonomie ist eine noch junge Wissenschaft. Sie erforscht die biologischen Grundlagen wirtschaftlicher Entscheide. Was dabei zutage tritt, zeigt ein Besuch im SNS-Lab der Universität Zürich.

Thomas Fuster
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Zum Werkzeug eines Ökonomen, so denkt man, gehören Bleistift, Papier und Rechner. Ein Besuch im Zürcher Labor zur Erforschung sozialer und neuronaler Systeme (SNS-Lab) lehrt indes anderes. Dort arbeiten zwar ebenfalls Wirtschaftswissenschafter. Sie tun dies aber mit besonderem Instrumentarium. Zum Inventar gehört etwa ein tonnenschweres Gerät zur funktionellen Magnetresonanztomografie (MRI). Dazu kommen Anlagen zur Hirnstimulation, für die Elektroenzephalografie und ein Labor, in dem Verhaltensbeobachtungen mit bis zu sechzehn Probanden durchführbar sind. Zu finden ist die hochmoderne und schalldicht isolierte Arbeitsstätte im Hauptgebäude des Universitätsspitals, im untersten Stock, wo die schwere Apparatur keine Böden durchbricht.

Stress senkt die Selbstkontrolle

Im Labor herrscht emsiges Treiben. Eine Doktorandin wird ins MRI-Gerät geschoben. Karl Treiber, der Lab-Manager, sitzt im Kontrollraum. Untersucht wird die menschliche Selbstkontrolle. Ausgangspunkt ist der berühmte Marshmallow-Test. Bei diesem Experiment wurden in den 1960er Jahren vierjährige Kinder vor die Wahl gestellt, einen Marshmallow sofort zu essen – oder zuzuwarten und später zwei davon zu erhalten. Als die Versuchsteilnehmer nach Jahrzehnten erneut untersucht wurden, zeigte sich, dass jene Kinder, die ihren Bedürfnissen nicht sofort nachgegeben hatten, sondern diese für ein höheres Ziel hatten aufschieben können, erfolgreicher waren im Leben: Sie hatten bessere Schulabschlüsse, waren emotionell stabiler und seltener kriminell. Selbstkontrolle, so das Fazit, ist also eine gute Sache.


Neuroökonom: «Einfach so drauflosexperimentieren geht nicht»


Im SNS-Lab soll nun untersucht werden, ob Stress die Selbstkontrolle stört. Hierzu dürfen die Probanden einige Stunden vor dem Test nichts essen, sie müssen also hungrig sein. Dann werden ihnen verschiedene Lebensmittel präsentiert, die sie als gesund oder ungesund zu deklarieren haben. Unter Stress gesetzt werden die Versuchsteilnehmer, indem die Hände in kaltes Wasser getaucht werden. Auf diese Weise, das zeigen Speichelproben, steigt die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. «Das entspricht zirka dem Stressniveau an einem unguten Meeting in der Firma», sagt Treiber. Mit diesem unguten Gefühl liegt die Probandin nun im Scanner. Und vor die Wahl gestellt zwischen gesundem und ungesundem Essen, greift sie öfter zum Schokoriegel statt zum Broccoli, als wenn sie stressfrei wäre.

Wie ist das Resultat zu erklären? Um das herauszufinden, führt Treiber mittels MRI in jenen zwei Hirnarealen Messungen durch, in denen Willensentscheidungen stattfinden. Es zeigt sich, dass unter Stress die Verbindung zwischen den beiden Arealen schlechter funktioniert als sonst. Das erschwert die Impulskontrolle, weshalb die Probandin öfter die kurzfristige Belohnung wählt, also den Geschmack, und seltener die langfristige Belohnung, also die Gesundheit. Das Experiment hat dabei durchaus Konsequenzen für die Teilnehmerin. So wird in der benachbarten Küche das gewählte Essen serviert. Was in der MRI-Untersuchung hungrig angeklickt wird, kommt also auf den Tisch. Auch die Experimente mit Geld, die im Laborraum stattfinden, sind insofern real, als sie sich im Portemonnaie der Teilnehmer direkt bemerkbar machen.

Die Neuroökonomie, wie sie im SNS-Lab betrieben wird, ist eine junge Wissenschaft. Noch in den frühen 1990er Jahren forschte kaum jemand nach den neurobiologischen Grundlagen des ökonomischen Verhaltens. Seither hat sich dieses interdisziplinäre Gebiet, in das Erkenntnisse aus Neurowissenschaft, Ökonomie und Psychologie gleichermassen einfliessen, zusehends etabliert. Der Anspruch (siehe Interview unten) ist dabei nicht unbescheiden: Anders als die traditionelle neoklassische Ökonomie, die ihren Modellen oft ein ziemlich abstraktes und realitätsfremdes Verhaltensmodell zugrunde legt, will die Neuroökonomie herausfinden, wie Entscheidungen tatsächlich ablaufen. Man tut dies, indem man in die vermeintliche Blackbox menschlichen Verhaltens blickt – also ins Gehirn.

Schenken macht glücklich

Die Universität Zürich kann sich rühmen, bei dieser Aufgabe in der obersten Liga mitzuspielen. Die in der Limmatstadt forschenden Ökonomen standen schon immer in dem Ruf, den Tellerrand des Fachs zu erweitern. Bruno S. Frey tat dies in Richtung Politologie, Psychologie und Soziologie. Und Ernst Fehr, einer der führenden Verhaltens- und Neuroökonomen, setzt die Tradition seit Jahren erfolgreich fort. Fehr ist Mitgründer des 2007 ins Leben gerufenen SNS-Lab, das finanziert wurde durch den Unternehmer und Mäzen Branco Weiss, die Uni Zürich und das Universitätsspital. Mittlerweile zählt Zürich bereits vier Professuren für Neuroökonomie, eine fünfte soll bald folgen. Erforscht werden so unterschiedliche Phänomene wie Altruismus, Belohnung, Lernen, Risiko und vieles mehr.

Was dabei zutage tritt, weckt oft Zweifel am Bild des Menschen als ein rational auf Eigennutz programmierter Homo oeconomicus. Offenbar sind auch Fairness, Grosszügigkeit, Vertrauen oder die Einhaltung von Normen ein Teil unserer biologischen Ausstattung, ein Teil unserer Natur. Das ist nicht nur eine Vermutung, sondern messbar. So erhöht etwa das körpereigene Hormon Oxytocin das Vertrauen in Mitmenschen; es stellt soziale Nähe her, bindet Partner aneinander. Wird es künstlich verabreicht, etwa mittels eines handelsüblichen Nasensprays, schenken Menschen einander plötzlich mehr Vertrauen, auch in finanziellen Transaktionen mit einem anonymen Gegenüber. Diese Erkenntnis zielt direkt ins Kerngeschäft der Ökonomie, denn ohne Vertrauen kommt in aller Regel kein Tauschgeschäft zustande.

Die Neuroökonomie zwingt zum Umdenken. Zuerst auf den Geldbeutel zu schauen, mag vielen Menschen als vernünftig erscheinen. Ein im Juli veröffentlichtes Experiment des SNS-Lab legt aber das Gegenteil nahe. So zeigte sich, dass nicht Eigennutz, sondern Grosszügigkeit glücklich macht. Etwas Nettes für jemanden tun löst ein wohliges Gefühl aus; Neuroökonomen sprechen von einem «warm glow». Um das herauszufinden, wurde fünfzig Probanden eine Geldsumme in Aussicht gestellt. Per Zufall bildete man zwei Gruppen: Die eine musste sich verpflichten, das Geld für Dritte zu spenden, die andere, das Geld für sich zu verwenden. Allein das Versprechen, einen Dritten zu beschenken, reichte aus, um die Hirnareale der grosszügigen Probanden «umzupolen» und ein Glücksgefühl auszulösen.

Die in der MRI-Untersuchung künstlich unter Stress gesetzte Doktorandin ist in der Zwischenzeit aus ihrer unangenehmen Situation befreit worden. Im Nebenraum stellt sie sich weiteren Untersuchungen. Mit einer transkraniellen Magnetstimulation werden ihre Nervenzellen im Hirn durch die Kopfhaut hindurch angeregt. Der Operateur sucht nach jenen Nerven, welche die rechten Handmuskeln steuern. Nach einigen Versuchen wird er fündig, die Stromstärke stimmt, und die Finger der Probandin zucken, wie von Geisterhand gesteuert. Diese Kartografierung muss für jeden Probanden separat durchgeführt werden, um die Stimulationsintensität für das anschliessende Experiment zu bestimmen. Bei keinem Hirn befinden sich die Zentren für Glück, Vertrauen oder Selbstkontrolle exakt am gleichen Ort. Die Suche nach jenen grossen Gefühlen, mit denen man Berge versetzen kann, gleicht einer diffizilen Millimeterarbeit.