Was wollen uns die Drehbuchautoren sagen?

Christian Buß: Hurra! Wir dürfen einen Tatort-Plot um Jürgen Vogel herum bauen! Der Schauspieler ist bereits zum dritten Mal als Episodenhauptrolle bei einem Odenthal-Krimi dabei. Hier führt er nun als ehemaliger Geldeintreiber seinen ansehnlichen Körper durch die unansehnlicheren Ecken von Ludwigshafen spazieren. Das Tolle: Obwohl der Plot mau ist, schaut man ihm gerne dabei zu. Zwischen Kaufhausruinen und verrotteten Bahnunterführungen agiert Vogel sehr angemessen: mit dem Charme einer Abrissbirne.

Lars-Christian Daniels: Sie mochten Hauptkommissar Mario Kopper (Andreas Hoppe) eigentlich immer viel lieber als seine Kollegin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und die neue Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter)? Dann haben wir schlechte Neuigkeiten für Sie: Kopper ist ab sofort nicht mehr die zweite Hauptfigur, sondern nur noch Sidekick. Seine einzigen beiden Aufgaben: Den Dienstwagen fahren und zwischen seinen keifenden Kolleginnen vermitteln, die sich 90 Minuten lang mit verbalen Giftpfeilen beschießen. Anstrengend, bemüht – und über weite Strecken unerträglich.

Markus Ehrenberg: Traue nie der Pharmabranche. Schon gar, wenn sie so alert daher kommt wie in Person von Chemiker und Möchtegern-Dealer Mark Moss (Christoph Bach). 

Kirstin Lopau: Man war nicht müde, es immer wieder zu betonen, dass hier "Old School" gegen "New School" kämpfen. Diese Vokabeln fielen so oft, dass ich schreien möchte. So kämpft Odenthal mit ihrem definierten Bizeps und ihrer Straßenerfahrung vehement gegen Stern mit ihrem Handy und dem Tablet (alt gegen neu). Stereotypen über Stereotypen. Gähn. Aber auch die Verbrecher teilen sich in Old und New School: Der gute alte Geldeintreiber aus dem Milieu kämpft gegen den Yuppie mit krimineller Vergangenheit, der in den Konzernvorstand eines Chemieriesen aufsteigen möchte. Noch mehr gähn. Einzig Jürgen Vogel rettet etwas die hahnebüchene Story um Drogengeld und alte Seilschaften.

Wie überzeugend sind die Kommissare?

Christian Buß: 5 Punkte.

Lars-Christian Daniels: Im Schnitt 0 Punkte: Kopper: 1 Punkt, Odenthal 0 Punkte, Stern: -1 Punkt.

Markus Ehrenberg: Acht Punkte für Ulrike Folkerts alias Lena Odenthal. Sie darf in dieser Folge streiten, sporteln, lieben, einsamer Wolf spielen. Der SWR hat Folkerts im 26. Jahr ihrer Tatort-Beschäftigung endlich mal wieder ein Buch (Dagmar Gabler) und einen starken Gegner auf den Leib geschrieben: Jürgen Vogel als abgründiger, liebenswerter bad guy Lu.

Kirstin Lopau: Odenthal scheint ihre Krise überwunden zu haben, bleibt aber langweilig: 5 Punkte. Stern diesmal total nervig: 3 Punkte. Kopper findet dafür gar nicht statt. Hatte er mehr als 3 Sätze? 2 Punkte.

Was ist Ihre Lieblingsszene?

Christian Buß: Als Kommissarin Odenthal bei einem Verhör Vogels melancholischem Ex-Schläger nahekommt, begutachtet er zärtlich ihren ebenfalls tätowierten Arm: "Das ist aber ein gut trainierter Bizeps." Später, als die Polizistin elektronisch seine Fingerabdrücke abnimmt, seufzt er noch: "Schon lange her, dass mich jemand angefasst hat." Ein Macho auf der Suche nach Streicheleinheiten.

Lars-Christian Daniels: "Mon dieu, Kommissarin, an Ihnen hat der Zahn der Zeit aber auch genagt!" – Ingrid van Bergens Gastsuftritt ist der einzige Lichtblick in diesem über weite Strecken desaströsen Tatort. In der Rolle der kecken Charlotte spricht die ehemalige Dschungelcamp-Bewohnerin aus, was der SWR offenbar nicht wahrhaben will: Odenthal & Co. sind schon seit Jahren ein Auslaufmodell, das dem Rest der Krimireihe qualitativ meilenweit hinterherhechelt.

Markus Ehrenberg: Mehrfach: Odenthal und Lu – Schau mir in die Augen. Da knistert's, da haben sich zwei gefunden. 

Kirstin Lopau: Wir sind am ersten Tatort, vor dem Mann von der Spusi liegt eine bisher nicht identifizierte Leiche. Er: "Identitätstechnisch hat er nur das kapudde Billischhandy, das wir erst noch checken müsse. Sonscht sieht der bei den Tätowierungen und den Goldzähnen aus wie ein Sergej oder ein Sascha, also irgendwas Ostmafiöses." Ja, so einfach ist es in diesem mit Klischees überladenen Tatort. Er sollte Recht behalten.

Was ist der peinlichste Moment?

Christian Buß: Der ewig Nudel kochende Kommissar Kopper, der jetzt ohne Mitbewohnerin Odenthal auskommen muss, fragt sie während der Ermittlungen, was sie denn jetzt essen würde. Letzte Zuckungen einer Fernseh-WG-Beziehung, die viel zu lange gedauert hat. 

Lars-Christian Daniels: In diesem Tatort jagt – wie so oft in Ludwigshafen – ein peinlicher Moment den nächsten. Ist es die nervtötende Quasselstrippe Johanna Stern, die das Jugendwort des Jahres eindrucksvoll vorlebt und als klugscheißender Smombie nie ohne Smartphone oder Tablet anzutreffen ist? Oder Lena Odenthal, die nach einer halben Stunde in einem 30-sekündigen Monolog noch einmal alle wesentlichen Fakten für die zwischenzeitlich weggedösten Zuschauer zusammenfasst? Oder der Zeitlupen-Streifschuss ins Gesicht von Lu Wolff (Jürgen Vogel), den die Filmemacher sage und schreibe vier Mal in pseudo-hipper Videoclip-Ästhetik wiederholen? Ich kann mich nicht entscheiden.

Markus Ehrenberg: Beim SWR in Ludwigshafen immer wieder die Momente mit den Dialekten bei den Leuten von der Spurensicherung.

Kirstin Lopau: Das Kompetenzgerangel und der ewige Schwanzvergleich zwischen Odenthal und Stern nerven. Und sie lassen Kopper völlig untergehen. Soll er aus dem Tatort herausgeschrieben werden? Er bemerkt in einem seiner wenigen Sätze in diesem Tatort sehr richtig: "Merkt Ihr noch was?" Auch das Nachstellen eines alten Mordes mithilfe des Tablets durch Stern ist viel zu sehr in die Länge gezogen und entsetzlich langweilig. Und zu guter/schlechter Letzt nervt die Musik, die diesen Tatort durchzieht, ein Zwischending aus der Musik eines Hitchcock-Klassikers und billiger Fahrstuhlmusik. Furchtbar!

Ihre Gesamtwertung für die Folge?

Christian Buß: 6 Punkte

Lars-Christian Daniels: 2 Punkte

Markus Ehrenberg: Sieben Punkte: Bei aller Lust auf einen weiblichen Schimanski (Ulrike Folkerts) und einen ambivalenten Bösewicht (Jürgen Vogel) sowie eine erstaunlich moderne Inszenierung (Regie: Jobst Christian Oetzmann) – die Rache-Geschichte mit Lu, der mit diesem Mark Moss noch eine Rechnung offen hat, ist zum Ende hin doch ein bisschen dick aufgetragen.

Kirstin Lopau: 4 Punkte