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Voretigen Neparvovec

Ersatz für ein defektes Gen

Mit Luxturna® kam im April ein weiteres Gentherapeutikum auf den Markt, das zu den sogenannten Advanced Therapeutic Medicinal Products (ATMP) gehört. Es ist bestimmt für Patienten mit einer seltenen Netzhauterkrankung, deren Sehfähigkeit damit verbessert werden kann.
Brigitte M. Gensthaler
03.05.2019  08:00 Uhr

Der in Luxturna enthaltene Wirkstoff ist Voretigen Neparvovec (5x1012 Vektorgenome/ml Konzentrat und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung), Hersteller ist Novartis. Das Medikament besteht aus einem modifizierten Adeno-assoziierten Virus vom Serotyp 2, das als Vektor für den Transfer des Gens für das humane retinale Pigmentepithel-spezifische 65 kDa-Protein (hRPE65) fungiert. In das Auge gespritzt, transportiert das Virus das RPE65-Gen in die Retinazellen und befähigt sie damit, das Enzym zu bilden.

Indiziert ist das Gentherapeutikum zur Behandlung von Patienten mit Sehverlust aufgrund einer erblichen Netzhautdystrophie, die auf nachgewiesenen biallelischen RPE65-Mutationen beruht, und die noch genügend lebensfähige Netzhautzellen haben. Die erb­liche Netzhautdystrophie ist eine seltene Erkrankung. Luxturna wurde für zwei Formen dieser Augenerkrankung als Orphan Drug ausgewiesen: Retinitis pigmentosa und Lebersche kongeni­tale Amaurose.

Das Arzneimittel ist eine sterile Konzentratlösung zur subretinalen (nicht intravitrealen!) Injektion, die vor der Verabreichung aufgetaut und nach genauen Vorgaben verdünnt werden muss. Voretigen Neparvovec wird nach einer Vitrektomie (Entfernung des Glaskörpers des Auges) einmal in den Subretinalraum des Auges appliziert. Dies führt zur Transduktion von retinalen Pigmentepithelzellen mit cDNA, die für das normale humane RPE65-Protein kodiert. Man spricht von einer Gen-Augmentationstherapie. In der Folge wird in den Zellen intaktes RPE65-Protein exprimiert. Diese All-trans-Retinyl-Isomerase ist für eine normale Funktion von Netzhautzellen essenziell, da sie all-trans-Retinol in 11-cis-Retinol umwandelt, das seinerseits während des Sehzyklus zum Chromophor 11-cis-Retinal umgewandelt wird. Diese Schritte ermöglichen erst den Sehvorgang.

Mutationen im RPE65-Gen führen zu einer verringerten oder fehlenden Aktivität des RPE65-Enzyms, was den Sehzyklus blockiert und zum Sehverlust führt. Im Lauf der Zeit sterben Zellen des retinalen Pigmentepithels infolge der Akkumulation von toxischen Zwischenprodukten ab und es kommt zum fortschreitenden Zelltod der Photo­rezeptoren. Menschen mit einer bi­allelischen RPE65-Mutation-assoziierten Netzhautdystrophie haben oft schon als Kinder oder Jugendliche eine verminderte Sehkraft; später erblinden sie vollständig.

Diesen Prozess soll die Gentherapie stoppen. Das zweite Auge sollte zeitnah, aber mindestens sechs Tage nach dem ersten behandelt werden. Die Patienten sollten drei Tage vor der ersten Injektion und dann noch 14 Tage lang Prednisolon oder Äquivalente als Immunsuppressiva erhalten. Mit der prä- und postoperativen Immunsuppression will man das Risiko verringern, dass das Gentherapeutikum vom Körper abgestoßen wird. Die Behandlung muss durch einen Netzhaut-Chirurgen erfolgen, der speziell auch Erfahrungen in der vitreoretinalen Chirurgie bei Kindern und jungen Erwachsenen hat.

Sehvermögen konstant gebessert

Dass das Konzept funktioniert, wurde in einer Phase-I-Sicherheits- und Dosiseskalationsstudie sowie in einer einjährigen offenen, kontrollierten Phase-III-Studie untersucht. An dieser nahmen 31 Patienten in zwei Prüfzentren teil. In der Fortsetzung erhielten die neun Patienten der Kontrollgruppe ebenfalls eine subretinale Injektion mit Voretigen Neparvovec. Insgesamt nahmen 41 Patienten (81 behandelte Augen) an dem klinischen Programm teil; bei allen waren biallelische RPE65-Mutationen und das Vorhandensein von ausreichend lebensfähigen Retinazellen zuvor bestätigt worden.

Hauptindikator für die Wirksamkeit war in der Phase-III-Studie ein Mobilitätstest, bei dem die Patienten einen Parcours mit Kurven und Hindernissen bei verschiedenen Lichtverhältnissen absolvieren müssen (Multiluminanz-Mobilitätstest, MLMT). Die Helligkeiten entsprachen einem hell beleuchteten Büro bis hin zu einer mondlosen Sommernacht (400 bis 1 Lux). Schafften es die Probanden, sich in der dunkelsten Umgebung zu orientieren, entsprach das einem MLMT-Score von 6, die Orientierung bei größter Helligkeit entsprach einem MLMT-Score von 0. Gelang ihnen selbst das nicht, wurde ihre Sehkraft mit einem MLMT-Wert von -1 bewertet.

Ein Jahr nach der Behandlung verbesserten Patienten, die das Verum bekommen hatten, ihre Werte im MLMT um 1,8 Punkte, Patienten in der Kontrollgruppe aber nur um 0,2 Punkte. Das bedeutet, dass sich die Menschen nach der Gentherapie besser im Parcours bewegen konnten. Zudem bestanden 13 von 21 Patienten den Mobilitätstest auch bei der niedrigsten Lichtstärke von 1 Lux, während dies keinem aus der Placebogruppe gelang.

Die Verbesserung des Sehvermögens blieb im gesamten dreijährigen Beobachtungszeitraum erhalten. Die Ergebnisse lassen erwarten, dass sich mit dem Sehvermögen auch die Lebensqualität der Patienten verbessert.

Die häufigsten in Zusammenhang mit der Gabe von Luxturna stehenden Nebenwirkungen, die mehr als 5 Prozent der Patienten betrafen, waren Hyperämie der Konjunktiva, Katarakt, Anstieg des Augeninnendrucks, Netzhauteinriss, Hornhautdellen, Makula-Erkrankungen, subretinale Ablage­rungen, Augen­entzündung sowie Augenreizung und -schmerz. Für die Sicherheit und Wirksamkeit einer Therapie vor dem vierten Lebensjahr gibt es keine Daten.

Im Rahmen des Risiko-Management-Plans stehen für Luxturna behördlich genehmigte Informationsmaterialien zur Risikominimierung zur Verfügung. Das sogenannte Educational Material für Patienten und für Fachkreise ist mit dem Blaue-Hand-Logo gekennzeichnet und kann unter www.novartis.de/arzneimittel-produkte/luxturna-informationen-zur-risikominimierung angefordert werden.

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