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Kirchenkritik adé: Bayern streicht zwei Schulbuchseiten

Foto: David Ebener/ dpa

Schulbuchzensur Gottes Werk und Bayerns Beitrag

"Ehrfurcht vor Gott" gilt in Bayern als hehres Bildungsziel. Das nehmen evangelikale Christen wörtlich: Sie beschwerten sich über einen religionskritischen Text in einem neuen Schulbuch - mit Erfolg. Knickte das Kultusministerium vor den Fundis ein?

In Deutschland haben die bayerischen Schulen einen besonders hohen Anspruch an die eigene Leistung. Wie im Rest der Republik sollen Schüler dort alles über Mathe, Deutsch und all die anderen Fächer lernen. Selbstredend wird auch Verantwortungsgefühl und selbständiges Denken vermittelt. Was Bayern aber so besonders macht, ist ein weiteres Lernziel: die "Ehrfurcht vor Gott".

Außerhalb des Bundeslandes mögen viele Lehrer und Schüler das verblüffend finden. Aber so steht es in Artikel 131 der Freistaats-Verfassung, Absatz 2:

"Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt."

Ausgerechnet im gottesfürchtigen Bayern gibt es jetzt einen hässlichen Streit um Inhalte mit Religionsbezug in den Lehrmaterialien. Die Folgen sind pikant. Plötzlich verschwanden aus einem Schulbuch Seiten mit einem religionskritischen Text. Nun stellt sich die Frage: Knickte das Kultusministerium ein, weil frömmelnde Hardliner auf eine Korrektur drängten?

Begonnen hatte die Affäre vergleichsweise harmlos: Eine Allgäuer Gymnasiallehrerin nahm im Frühjahr Anstoß an einem Schulbuch des Berliner Verlages Cornelsen. Der hatte es gewagt, im neuen Englisch-Lehrbuch "Context 21" den scharfzüngigen Text einer US-Journalistin zu drucken. Die Autorin Susan Jacoby geht darin streng mit religiösen Hardlinern in ihrer Heimat ins Gericht. Sie kritisiert christliche Fundamentalisten in den USA als eine anti-intellektuelle, gefährliche Bewegung.

In ihrem Meinungsbeitrag (siehe Kasten unten) analysiert Jacoby die Hintergründe eines Kulturkampfs, der die USA schon seit Jahren bewegt und mittlerweile auch in Europa angekommen ist: Christliche Hardliner verlangen, dass gleichberechtigt zu Darwins Lehre der Biologie an US-Schulen auch der "Kreationismus" unterrichtet werden müsse, also die religiöse Sicht der Entwicklung der Arten und der Welt insgesamt - und dies nicht etwa im Fach Religion, sondern im naturwissenschaftlichen Unterricht.

Susan Jacobys umstrittener Text

Wegen des Textes schrieb die Allgäuer Lehrerin im März einen ersten von mehreren Beschwerdebriefen an den Verlag, der "Context 21" in diesem Sommer bundesweit für die Oberstufen an Gesamtschulen und Gymnasien an den Start bringen will. Cornelsen antwortete freundlich, aber bestimmt - und lehnte Änderungen ab.

Einzelne Lehrer fanden den Text "unerträglich"

In Bayerns Kultusministerium, zuständig für die Zulassung aller Schulbücher im Land, war man da noch ahnungslos. Eine direkte Beschwerde gegen das Lehrbuch habe es nicht gegeben, sagt Ministeriumssprecher Ludwig Unger. Was es aber gab - und zwar etwa zu jener Zeit, als sich die Lehrerin erstmals an den Verlag wandte - war eine Anfrage des christlichen Nachrichtenportals "Idea" ans Ministerium.

"Idea" möchte erreichen, dass Medien der "christlichen Botschaft einen größeren Stellenwert einräumen". Das Portal gehört zur Evangelischen Allianz, einer Dachorganisation von Freikirchen und pietistischen Gruppierungen. Dort sammeln sich größtenteils protestantische Christen, die die Bibel oftmals wörtlich nehmen. "Vor etwa einem Vierteljahr fragte 'Idea' wegen des Buches bei uns an", sagt Unger. Die Pressestelle des Ministeriums sei von "Idea" informiert worden, es hätten sich zwei Lehrer gemeldet, die einen Text im Lehrbuch "Context 21" "unerträglich" fänden, so Unger. Das Ministerium war überrascht: "Damals kannten wir das Buch noch gar nicht." Erst Mitte Juni schickte Cornelsen das Schulbuch zur Überprüfung an die bayerischen Offiziellen.

In der vergangenen Woche hakte der religiöse Nachrichtendienst "Idea" erneut beim Ministerium nach - just zu der Zeit, als sich die Experten für das Schulfach Englisch intensiv über das neue Lehrbuch beugten.

Offenbar war die Intervention erfolgreich. Die kritisierten Seiten sollen aus Sicht der Bayern aus dem Buch herausgenommen werden. Zuerst aufgefallen war der kleine Erfolg der Bibelfreunde dem ScienceBlogs-Schreiber Florian Freistetter . Am Freitagnachmittag habe das Ministerium angerufen und mitgeteilt, der Verlag solle die Doppelseite aus dem Kapitel 3B zur Religion in Amerika "entweder ganz streichen oder ersetzen", sagte Cornelsen-Sprecherin Irina Pächnatz SPIEGEL ONLINE. Eine genaue Begründung habe es nicht gegeben.

Lässt das Kultusministerium sich Schulbuchinhalte diktieren?

Wenig später, am Samstag, meldeten die christlichen Journalisten von "Idea" Vollzug: "Cornelsen-Verlag muss anti-evangelikale Passagen in Schulbuch streichen", lautete die Überschrift ihrer Meldung. Das Ministerium, so "Idea" weiter, dulde die Darstellung im Kapitel über Fundamentalismus in den USA nicht, und zwar mit Verweis auf Artikel 131 der bayerischen Verfassung ("Ehrfurcht vor Gott"). Eine Darstellung, der Ludwig Unger widerspricht. Eine Sprecherin des Ministeriums sei von "Idea" "unvollständig zitiert" worden, sagte Unger SPIEGEL ONLINE.

Trotz der Beteuerungen steht nun der Verdacht im Raum, dass die Schulbehörde unter dem sanften Druck von religiösen Gruppen vorschnell auf deren Kurs eingeschwenkt ist. Die Evangelische Allianz ringt um öffentliches Gehör und mehr politischen Einfluss; 2008 zum Beispiel ging sie mit harten Bandagen auf zwei 18-jährige Schülerzeitungsmitarbeiter los, die den Frömmel-Kongress "Christival" kritisiert hatten - am Ende mit Erfolg: Die Bundeszentrale für politische Bildung distanzierte sich von den Jungautoren.

Ministeriumssprecher Unger weist den Einknickvorwurf entschieden zurück. Die Mitarbeiter hätten das neue Cornelsen-Lehrbuch "wie immer kritisch gelesen", sagt er. Allerdings habe man sich das Buch "auf die Hinweise hin angeschaut".

Unger versichert, das Ministerium habe auch nicht besonders sensibel reagiert, weil es um das Thema Religion geht. Vielmehr halte sich die Schulbehörde stets an die "historisch-kritische Methode". Problematisch sei das Englischlehrbuch, weil es eine "einseitige Interpretation" des religiösen Lebens in den USA und eine "einseitige Darstellung von Verhaltensmustern" vertrete, ohne die Gegenseite ausreichend darzustellen.

Das kann man so sehen. Susan Jacobys Meinungsstück über die evangelikale Bewegung in den USA ist ein Auszug aus ihrem Buch "The Age of American Unreason". Der Kommentar zeigt genüsslich auf, dass die Bibeltreue dort am üppigsten blüht, wo das Bildungsniveau am tiefsten liegt, durchaus passender Stoff für ein Schulbuch - wenn Cornelsen in der Lektüre auf insgesamt fünf Seiten ein hinreichend vielfältiges Bild zum recht komplexen Thema Religion in den USA anböte.

Nachhilfe für den bayerischen Staat von Evangelikalen

Doch eben da hakt es. Auch eine Karikatur auf der nächsten Seite im Religionskapitel unterstreicht, wie sich die Vereinigten Staaten unter Kreationisten-Einfluss wissenschaftlich ins Abseits manövrieren. Danach zeigt eine Studie, wie stark religiös geprägt amerikanische Schüler sind, und eine Grafik die Dominanz des christlichen Glaubens in den Vereinigten Staaten.

Jeweils für sich genommen sind das alles mögliche Inhalte für ein Schulbuch, deutliche Kritik am Einfluss von Fundi-Christen ist allemal zulässig. Die Gegenseite aber ist derart unterrepräsentiert, dass die Entscheidung des Ministeriums verständlich erscheint.

Doch derlei Argumentation geht im Triumphgeheul der "Idea"-Truppe nun völlig unter. Was bleibt ist der ungute Eindruck, dass sich hier religiöse Fundamentalisten durchgesetzt haben.

Cornelsen jedenfalls will auf die Forderung, die Seiten herauszunehmen, eingehen, steht aber weiter zum Inhalt des Kapitels. Die Kritik am christlichen Fundamentalismus sei "eine Diskussionsgrundlage und der Text als Artikel gekennzeichnet", sagte Verlagssprecherin Pächnatz. Die Kritik daran sei "inhaltlich nicht nachzuvollziehen", an einer neuen Version werde aber gearbeitet, damit das Buch in Bayern nach den Ferien erscheinen könne.

Ist also alles gut? Die Schulbuchredakteure denken noch einmal über ihr religionskritisches Kapitel nach. Allerdings entscheiden Schulen selbst, welche Bücher sie verwenden. "Context 21" soll nach den Sommerferien in allen deutschen Bundesländern erschienen sein, Thüringen und Sachsen haben es bereits überprüft und für gut befunden. Vorschauseiten, darunter auch die mit dem umstrittenen Text, stehen auf der Internetseite des Verlags .

In Bayern wird die Ausgabe anders aussehen und Jacobys religionskritischer Artikel fehlen. Das ist nicht unbedingt verkehrt. Aber brauchen Bayerns Schulbehörden wirklich Nachhilfe von Evangelikalen?

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