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Bloggende Lehrer: Anekdoten aus dem täglichen Klassenkampf

Foto: Mathias Haman

Bloggende Lehrer "Gymnasium kann doch jeder"

Prügeleien im Kunstunterricht, schreiende Schüler, Wutanfälle - wie werden Lehrer damit fertig? Manche schreiben darüber und veröffentlichen ihre Anekdoten aus dem täglichen Klassenkampf im Netz. Für sie ist es eine Art Therapie - mit eingeschränkter Pressefreiheit.
Von Mathias Hamann

Nach der Stunde sitzt die Lehrerin allein im Raum und weint. Gerade haben sich zum ersten Mal Kinder aus ihrer Klasse geprügelt, im Unterricht. "Die Tür ging auf und ein Mitschüler stürmte auf einen anderen Mitschüler los, riss ihn zu Boden. Würgen, prügeln, kloppen, rangeln", das wird später in ihrem Blog zu lesen sein.

Janina Scheidmann unterrichtet an einer Grundschule in Berlin-Neukölln Geografie und Kunst. Sie ist Referendarin, das Lehramtsstudium liegt hinter ihr, der tägliche Klassenkampf vor ihr. Sie bloggt darüber . "Die meisten Blogs von Kunstlehrern sind Bastelberichte, aber wenige beschäftigen sich mit der Pädagogik", sagt sie.

Sie aber möchte nicht bloß Tuschtante sein, keine Bastelmutti. Sie präsentiert in ihrem Blog Schüler-Grübeleien zur Frage: Was ist Kunst? Darunter sind Antworten wie: "Fantasien von Gedanken". Sie macht sich Gedanken darüber, wie sich Kunst unterrichten lässt und welche Künstler Kinder kennen sollten.

Nicht zuletzt hilft ihr das Schreiben beim Nachdenken über ihren Berufsalltag - und es hat manchmal sogar therapeutische Wirkung. Die erste Schlägerei im Unterricht habe sie den ganzen Tag beschäftigt, erzählt sie. Als sie abends darüber schrieb, gewann sie inneren Abstand.

Oft verzichten Lehrer, die unter ihrem Klarnamen bloggen, auf detaillierte Schilderungen ihres Schulalltags. So schreibt ein Münchner Lehrer über Deutschlektionen und die Wahlen zum Personalrat, bei einem anderen gibt es Tipps zum Einsatz von Computern und Fehlerhappen aus Diktaten.

Je anonymer, desto offener

Offener und manchmal spannender schreiben jene Lehrer, die die Anonymität des Netzes nutzen. Eine Frau Freitag berichtet über ihre Arbeit an einer Problemschule . Den Stress wollte sie mit Yoga abbauen, doch anscheinend hilft ihr das Schreiben eher über die Schulwut hinweg. Ihren ersten Eintrag verfasste sie im Mai 2009, seitdem berichtet sie fast täglich von Mädchen, die plötzlich Kopftuch tragen, und von Schülern, die ihre Hausaufgaben nicht erledigen. Sie stellt sich vor, die größte Nervensäge ihrer Klasse ins Dschungelcamp abzuschieben. Und nebenbei erfährt man, dass sie "Lindenstraße" guckt und "Gossip Girl". Das fand ein Verlag so spannend, dass daraus ein Buch entstand; es ist gerade erschienen: "Chill mal, Frau Freitag".

Auch eine Freundin von Frau Freitag bloggt, ebenfalls anonym. Sie nennt sich Fräulein Krise und "interveniert an der pädagogischen Borderline",  wie sie es nennt. "Wenn mich mein Mann abends fragt, wie es in der Schule war, dann sag ich ihm, er soll meinen Blog lesen", sagt sie.

Beide beteuern, dass alle Geschichten in ihren Blogs wahr seien. Nur die Namen ihrer Schüler würden sie verändern, den Schulnamen weglassen, sonst könnten sie nicht frei schreiben. "Aynur rennt um mich herum wie ein wildgewordener Handfeger", heißt es bei Fräulein Krise, "Necla schreit mir markerschütternd ins Ohr und Mustafa fuchtelt wie geistesgestört mit einem Zettel vor meiner Nase herum. Kinder, Kinder, ihr treibt mich noch in Frühpension."

Was riskiert ein bloggender Lehrer?

Wenn es so schrecklich ist für sie an der Schule, warum arbeiten sie dann an Problemschulen? "Weil es herausfordender ist", sagt Fräulein Krise. "Gymnasium kann doch jeder", sagt Frau Freitag.

"Frau Freitags Geschichten klingen sehr realistisch", sagt Janina Scheidmann, die Referendarin aus Neukölln. "Außerdem kann sie wunderbar schreiben." Sie hole sich in dem Blog pädagogische Anregung und lerne aus den Fehlern der Kollegin.

Wer als Pädagoge bloggen will, muss allerdings vorsichtig sein. Denn die Meinungs- und Pressefreiheit wird für Lehrer begrenzt durch "die Loyalitätspflicht, die Pflicht zur Mäßigung, Amtsverschwiegenheit und das Verbot der Flucht in die Öffentlichkeit", wie es ein Sprecher des Schulministeriums Nordrhein-Westfalens ausdrückt. Die Beschränkung gelte sowohl für angestellte Lehrer als auch für Beamte. Ein hessischer Ministeriumssprecher warnt: Sind die Schüler identifizierbar, "kann sich eine Lehrkraft strafbar machen." Privatgeheimnisse dürfen sie nicht öffentlich enthüllen.

So lässt auch Janina Scheidemann die Namen von Schülern und Schule weg. Etwas mulmig wurde ihr allerdings, als etwa der "Tagesspiegel" auf einen Artikel von ihr verlinkte: Der zeigte Tabellen, in denen ihre Schüler die Vor- und Nachteile Berlins auflisten. Sie saß damals vor ihrem PC, klickte auf die Besucherstatistiken: "Alle drei Sekunden 100 Leser." Sonst hat sie täglich 100. Sie griff zum Handy und informierte die Schulleitung über ihr Blog. Die hatte kein Problem, solang eben die Namen der Schüler und Schule nicht auftauchen. Auch ihrer Klasse zeigt sie die Artikel: "Die fanden es drei Minuten interessant, dann aber nicht mehr."

Als allerdings der erste Schüler einen Kommentar hinterließ, war das auch ein kleiner Schreck. "Aber der schrieb nur, warum er am nächsten Tag nicht zum Unterricht kommt."