Megacommunities

Facebook, SchülerVZ und Co. sind nicht nur die Lieblings-Treffpunkte von Abermillionen Surfern. Die sozialen Netzwerkdienste sind im Begriff, sich als die wichtigsten Torwächter für den Zugang zum Internet generell zu etablieren.

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Facebook hat nach eigenen Angaben mehr als 400 Millionen aktive Benutzer, von denen sich jeder zweite täglich einloggt: Wäre der Dienst ein Staat, so wäre er noch vor den USA der drittbevölkerungsreichste der Welt. Nach den Zahlen von Compete wurde Facebook im Januar erstmals häufiger besucht als Google. Und laut Alexa verweilen Surfer fast dreimal so lange auf den Seiten von Facebook wie auf denen des Suchmaschinenprimus (siehe c’t-Link).

Abermillionen loyale Nutzer, die mit ihren Profilen viel von sich preisgeben: Facebook will dieses Kapital mit maßgeschneiderter Werbung versilbern und tritt damit gegen Google an. Das konnte den Werberiesen nicht kalt lassen. Anfang Februar erfolgte der vorschnelle Gegenangriff mit dem nicht hinreichend ausgetesteten Twitter-Klon Buzz. Nach Protesten von Datenschützern und Nutzern musste Google die Privatsphäre-Einstellungen mehrmals nachbessern [1].

Dass Google versucht, Buzz mit so viel Wucht in den Markt zu drücken, hat seine Gründe. Die Online-Aktivitäten vieler Surfer spielen sich zu einem maßgeblichen Teil innerhalb des sozialen Netzwerks ab. Während die Besucher einer klassischen Website wie heise online knappe sechs Seitenabrufe pro Besuch verweilen, rufen sie bei Facebook mehr als 15 Seiten ab und verbringen dort täglich mehr als eine halbe Stunde.

Weltmacht Facebook: Der amerikanische Anbieter ist in vielen Ländern die Nummer eins.

Das liegt am Wesen des sozialen Netzwerkens. Hat sich ein Nutzer erst einmal mit seinen Freunden, Kollegen und Geschäftspartnern vernetzt, gibt es auf der Facebook-Startseite immer etwas zu tun: Kontakte wollen geknüpft, die Meldungen der Freunde gelesen, Bilder angesehen und kommentiert, der FarmVille-Bauernhof gepflegt und die Mafia-Wars-Geschäfte erledigt werden.

Der Einfluss der sozialen Netzwerke reicht dabei weit über ihre Grenzen hinaus, denn sie dienen auch als Tippgeber für Streifzüge im Web. Neben den Inhalten, die sich direkt in Facebook einbetten lassen, posten die Nutzer auch Verweise zu anderen Websites, die sich in den Timelines ihrer „Freunde“ im Netzwerk wiederfinden. Die persönliche Startseite präsentiert auf diese Weise eine laufend aktualisierte, individuelle Vorauswahl an Link-Empfehlungen aus dem persönlichen Freundes- und Kollegenkreis [2].

Und so schaut der Surfer zu Beginn einer Internet-Sitzung nicht mehr zuerst bei Spiegel online oder Google News nach, was es Neues gibt, sondern in der Timeline seines sozialen Netzes mit den Neuigkeiten aus dem Freundes- und Kollegenkreis. Und lässt sich seinen Weg durchs Netz nicht mehr von Google zeigen, sondern von seinen Bekannten beim Netzwerk-Dienst. Beobachter vermuten sogar, dass die Interaktionsmechanismen in sozialen Medien klassische Kommunikationswege wie die E-Mail verdrängen könnten. Gerüchten zufolge plant Facebook bereits einen Schritt in diese Richtung und arbeitet an einem Gmail-Konkurrenten. Dank offener Programmierschnittstellen, über die externe Unternehmen auf die hinterlegten Daten zugreifen können, hat sich Facebook zu einer Art Social-Networking-Standard entwickelt: Es gibt Apps für das iPhone, Android und den PC; kaum eine Handy-Neuvorstellung auf dem Mobile World Congress, die nicht mit Facebook-Fähigkeiten beworben wurde. Und selbst Microsofts PC-Organizer Outlook erhält eine Schnittstelle zu dem Netzwerk.

Facebook-Anteilseigner Microsoft arbeitet ohnehin enger mit dem sozialen Netzwerk zusammen, als es Google lieb sein kann. So soll die Microsoft-Suchmaschine Bing verstärkt integriert werden – einige ihrer Funktionen sollen sich direkt in Facebook nutzen lassen. Obwohl Google bereits auf die Bedrohung durch soziale Netze reagiert hat, indem es die Status-Updates aus Facebook, Twitter und Co. als Live-Treffer in seine Suchergebnisseiten integriert hat: Facebook hat sich zu einem wichtigen Konkurrenten von Google gemausert, das bisher mit seiner Suchmaschine die Besucherströme im Netz fast monopolistisch steuern konnte.

Mit seiner riesigen Nutzerschaft ist Facebook nicht nur weltweit, sondern auch in vielen Länderwertungen mit Abstand die Nummer eins. In Deutschland verweist der Dienst mit seinen etwa 12 Millionen Mitgliedern die Konkurrenz auf die Plätze. Welche Regionen Facebook bereits dominiert, veranschaulicht Vincenzo Cosenzas Weltkarte (siehe oben).

Facebooks Dominanz bedeutet aber keineswegs, dass den anderen sozialen Netzwerken scharenweise die Nutzer weglaufen, im Gegenteil: Im Schatten des Platzhirsches gedeihen viele andere Dienste für das soziale miteinander munter weiter. So vernetzen hierzulande wer-kennt-wen.de 6,7 Millionen, SchülerVZ 5,6 Millionen, StayFriends 5,6 Millionen und StudiVZ 5 Millionen Mitglieder (alle Zahlen: Google Ad Planner, siehe c’t-Link). Außerdem versammeln noch Xing, MySpace, Twitter, Lokalisten und Kwick jeweils mehr als eine Million Nutzer.

So etwas wie eine Konzentration lässt sich auf dem Markt der sozialen Netzwerke derzeit also allenfalls in Ansätzen beobachten. Es versuchen sogar immer noch neue Player ihr Glück auf dem Markt – siehe Google Buzz – oder bohren anders geartete Dienste mit sozialen Funktionen auf. Insbesondere unter den Web-2.0-Anbietern gehören Vernetzungsmechanismen mittlerweile zum Standardrepertoire. So bieten Flickr, Youtube und der Musikempfehlungsdienst last.fm Netzwerkfunktionen.

Darüber hinaus buhlen neben den großen Allzwecknetzen wie Facebook oder Twitter Dutzende kleinere, vertikale Netze um bestimmte, abgegrenzte Nutzergruppen. Der Pennäler-Dienst SchülerVZ und das Business-Netzwerk Xing sind darunter zwei weithin bekannte Beispiele. Außerdem gibt es eine Reihe von Netzwerken wie ResearchGATE oder Mendeley, die sich gezielt an Wissenschaftler wenden [3], Dienste für den Austausch von Strickmustern (Ravelry), Angebote für Väter (ichbinpapa.de), Menschen in Sozialberufen (Netz sozial) et cetera. Die Social Network List zählt mehr als 700 Netze weltweit.

Wie im richtigen Leben entscheidet der Standort mit über die Akzeptanz eines sozialen Netzwerks.

Obwohl Social-Networking-Dienste im Internet für jedermann von überall her gleich zugänglich sind, spielt die Herkunft der Nutzer eine wichtige Rolle. Anwender benutzen diejenigen sozialen Netze, in denen sie ihre Freunde und Arbeitskollegen treffen – und die stammen häufig aus derselben Region. So lässt sich erklären, dass sich weltweit ein gutes Dutzend von kleineren Netzen in ihren Herkunftsländern neben der Weltmacht Facebook behaupten können.

Was die Weltkarte für den globalen Markt wiedergibt, lässt sich mit Google Trends auch auf regionaler Ebene beobachten. So spielen die Anbieter jappy.de und lokalisten.de bundesweit im Vergleich zu SchülerVZ nur eine untergeordnete Rolle. In Bayern (lokalisten.de) beziehungsweise Berlin (jappy.de) dagegen hängen sie SchülerVZ ab.

Der Netizen hat die große Auswahl – und beteiligt sich nicht selten an mehreren Netzen: Twitter etwa dient als minutenschneller Nachrichten- und Entertainment-Kanal, in Facebook hält der Netzwerker seine Freunde über Privates auf dem Laufenden. Xing fungiert als sich selbst aktualisierendes Adressbuch für Geschäftskontakte, Expli liefert Bastelanregungen.

Soziale Sammelanwendungen wie TweetDeck, sogenannte Aggregatoren, oder RSS-Reader wie Googles Reader sammeln die Statusänderungen der verschiedenen Plattformen und präsentieren sie unter einer Oberfläche, sodass der Nutzer immer den Überblick über die Nachrichtenlage in allen Diensten behält. Ein immer wichtigerer sozialer Aggregator ist das Smartphone, in das über Apps die Neuigkeiten aus allen Kanälen zusammenlaufen. Und auch Facebook selbst kommt als sozialer Aggregator zum Einsatz. Mit Anwendungen bindet der Nutzer dort Statusmeldungen anderer Netze ein.

Der Artikel ab Seite 108 in c't 7/2010 stellt eine Auswahl sozialer Netzwerke genauer vor: Er zeigt, was Benutzer an ihren Diensten schätzen, warum sie sich für ihre Dienste entschieden haben und wofür sie sie nutzen.

Aus Nutzersicht besteht soziales Netzwerken aus einem permanenten Geben und Nehmen: Je mehr das Mitglied über sich, seine Arbeit und seine Hobbies verrät, desto leichter finden Gleichgesinnte zu ihm. Für einige Netzwerke besteht sogar ein gewisser Gruppenzwang zur Teilnahme: Ein Schüler in der Pubertät ohne SchülerVZ-Account? Fast überall ein Außenseiter.

Die Netzwerke unternehmen eine Menge, um den Mitmach-Druck hochzuhalten. So erinnern sie den Nutzer zum Beispiel hartnäckig daran, fehlende Profilinformationen nachzutragen. Zudem schlagen sie ihm andere Mitglieder vor, von denen sie annehmen, dass er sie kennen oder kennenlernen sollte, etwa weil sie in derselben Stadt wohnen, beim selben Unternehmen arbeiten, Freunde oder Interessen teilen. Insbesondere Facebook sammelt solche Informationen auch von Nichtmitgliedern und versucht sie damit zur Teilnahme zu locken. Wer einmal dabei ist, den sollen regelmäßige Status-Mails mit Nachrichten aus dem persönlichen Freundeskreis bei der Stange halten.

Die Facebook-Timeline informiert als Nachrichtenticker aus dem Freundeskreis und als persönlicher Tippgeber für Surf-Streifzüge.

Plattformen, die davon leben, dass Menschen detaillierte Selbstbeschreibungen pflegen, sind ideale Marketingvehikel: Hier können die Werber viel treffsicherer ihre Reklame an Zielgruppen herantragen als in klassischen Medien. Die Nutzer nehmen das in Grenzen durchaus hin, auch weil es die meist kostenlosen Dienste finanzieren hilft.

Allerdings hat die Freizügigkeit ihre Grenzen. Als zum Beispiel Facebook das Erfassen von Profilen auch auf den Seiten von Partnershops erweitern wollte, gingen Benutzer ebenso auf die Barrikaden wie beim Versuch, sich durch eine Änderung der allgemeinen Geschäftsbedingungen umfangreiche Rechte an den Nutzerdaten einzuräumen. Facebook hat beide Schritte rückgängig gemacht und zuletzt sogar die Benutzerschaft bei der Formulierung der Datenschutzbedingungen einbezogen. Datenschützer sind über die neuen Privatsphäre-Regelungen aber immer noch nicht glücklich.

Für Dienste, in denen Unmengen persönlicher Daten liegen, interessieren sich auch Datendiebe. Und etliche Anbieter haben sich in puncto Sicherheit in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert. So gelang es Angreifern zum Beispiel bei SchülerVZ, massenhaft Nutzerdaten abzugreifen. Der Popularität der Plattform tat das allerdings keinen Abbruch.

Das größte Schadpotenzial liegt aber nicht bei den Dienstebetreibern oder bei Angreifern, sondern beim Nutzer selbst. Mit einem unbedachten Posting oder zu leichtfertig weitergegebenen Informationen im Profil kann sich jedermann eine Menge Unbill einhandeln, vom Identitätsdiebstahl bis zum Jobverlust. Dafür gab es in den letzten Monaten reichlich Beispiele. Der Artikel auf der Seite 114 in c't 7/2010 zeigt die Fallgruben und wie man sie umgeht – damit das soziale Netzwerken das Vergnügen bleibt, das es für Abermillionen Nutzer darstellt.

[1] Google Buzz auskunftsfreudig, c’t 6/10, S. 66

[2] Sascha Lobo: Netz-Sozialisierung, Vom Überall-Netz ins Echtzeit-Internet, c’t 6/10, S. 189

[3] Ulrich Herb: Vernetzte Forscher, Soziale Netzwerke für Wissenschaftler, c’t 25/09, S. 78

www.ct.de/1007104

Artikel zum Thema "Treffpunkt Netz" finden Sie in der c't 7/2010:
Soziale Netzwerke verändern die Online-Landschaft S. 104
Facebook, Twitter & Co. von innen S. 108
Datenschutz mit Augenmaß S. 114

(jo)