Traumhüter Leese ist jetzt Trainer

Von Interview: Jan Patrick Lange
Lars Leese absolvierte für die zweite Mannschaft des 1. FC Köln 29 Regionalligapartien
© Imago

Lars Leeses Traum vom Profitorwart währte nur drei Spieljahre, aber als Buchheld lebt er scheinbar ewig: "Der Traumhüter", die Biographie über seinen einmaligen Aufstieg von der Kreisliga Westerwald in die Premier League, ist längst ein internationaler Bestseller und erhält noch immer hymnische Kritiken.

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Leese stand unter anderem bei Bayer Leverkusen, dem FC Barnsley und dem 1. FC Köln unter Vertrag. Nun, mit 40 Jahren, macht er mit dem SV Bergisch-Gladbach, dem Überraschungsteam der Nordrhein-Westfalen-Liga, erstmals als Trainer auf sich aufmerksam.

SPOX: Wird der Traumhüter nun ein Traumtrainer?

Leese: Trainerträume wachsen langsamer als Spielerträume. Ich bin gerade dabei, mir meine ersten Sporen zu verdienen. Letztes Jahr habe ich die Ausbildung zum Fußball-Lehrer abgeschlossen und in Bergisch-Gladbach habe ich einen idealen Verein, um mich als Trainer zu entwickeln. Gerade auch, weil wir hier wenig Geld haben: Das fordert einen Trainer heraus, mit viel Fantasie und Akribie den Wettbewerbsnachteil wettzumachen. Ich muss - oder darf - hier alles machen: Spieler scouten, mit den Ausrüstern verhandeln, Videos zusammenschneiden, Trainingslager organisieren, mir Athletik- und Fitnesstrainer suchen, die das für einen Apfel und ein Ei machen. Da lernt man den Beruf von der Pike auf.

SPOX: Als Spieler galten Sie eher als ein, nun ja, Lebemann. Sind sie jetzt etwa ein richtig besessener Arbeiter geworden?

Leese: Als ich anfing als Trainer, habe ich sofort gemerkt: Trainer - das ist meine Leidenschaft. Ich rede ja oft mit alten Profikollegen. Die meisten vermissen das Fußballspielen sehr. Trainer zu sein, ist für sie nur ihr Methadon, ihr Schmerzmittel, um den Verlust des Spielens nicht so sehr zu spüren. Ich dagegen habe keinen Tag das Spielen vermisst, seit ich 2005 beim 1. FC Köln meine Torwartkarriere beendete. Weil mir das Trainersein so viel mehr Spaß macht. Wenn du dir eine Taktik ausdenkst, einen neuen Laufweg für die Stürmer oder wenn du einen Mittelfeldspieler zum rechten Verteidiger umschulst, der darüber erschrickt - wenn das dann klappt, das ist das pure Glück.

SPOX: Sie leben für Ihren Beruf?

Leese: Ich versuche zu lernen und mich zu verbessern, wo ich nur kann. Ich gehe sehr oft morgens zum Training der Bundesligisten in der Nähe, Köln, Leverkusen, ich bin mit Mönchengladbach ins Wintertrainingslager gefahren, ich habe bei Bruno Labbadia in Leverkusen und unter Frank Rijkaard beim FC Barcelona hospitiert. Du kannst nie ein Training eins zu eins kopieren, aber du kannst dir überall etwas rauspicken; und wenn es nur die Erkenntnis ist, wie du etwas nicht machen solltest.

SPOX: Wie kommt ein deutscher Oberligatrainer zum FC Barcelona?

Leese: Ein Freund hat das für mich organisiert. Es war lustig: Die Hospitanten damals waren Claudio Ranieri, der Teams wie Chelsea und Juventus trainiert hat, und ich. Ranieri stand da locker an der Seitenlinie, denn er hatte seinen Privatsekretär dabei, der alle Trainingsübungen für ihn aufzeichnete - und daneben ich, der kaum mit dem Schreiben mitkam, weil die Barca-Trainingsübungen teilweise so detailliert sind.

SPOX: Ihr Team ist Aufsteiger, hat nur ein Zehntel des Etats von manchem Ligakonkurrenten, und ist nach der Vorrunde trotzdem Sechster der Oberliga. Wie geht das?

Leese: Sie wollen doch nicht, dass ich mich jetzt selbst lobe?

SPOX: Vielleicht könnten Sie trotzdem ein wenig von Ihrer Arbeit erzählen?

Leese: Viele meiner Spieler sagen, ich sei der härteste Trainer, unter dem sie je gespielt haben. Den Ruf wollte ich nie haben! Aber sie meinen damit ja nicht, dass ich sie die ganze Zeit Intervall-Läufe machen lassen, im Gegenteil: Sie meinen damit nur, dass ich mit totaler Intensität, immer auf Wettkampftempo trainieren lasse. Wir trainieren extrem viel Taktik, Spielzüge, Verschieben, Automatismen, und klar nervt es die Spieler, wenn sie anderthalb Stunden immer wieder bloß zwei Spielzüge wiederholen müssen. Aber wenn dieser Angriff dann im nächsten Spiel Erfolg bringt, sind sie auch glücklich. Wenn du wie wir von der Einzelqualität in deiner Liga nicht mithalten kannst, musst du taktisch bis ins Detail besser und vor allem variabler als die anderen sein.

SPOX: Variabler?

Leese: Wir wechseln oft während des Spiels die Marschroute, schalten etwa von Mittelfeld- auf Angriffspressing um oder ich spiele mal mit einem kreativen Spieler, dann plötzlich mit zweien auf den Flügeln. Du musst schwer berechenbar bleiben. Und ich studiere vor jedem Spiel genau die Schwächen des Rivalen und trainiere daraufhin: Lassen sie zu viel Platz zwischen Abwehr und Sechser, arbeitet ihr rechter Mittelfeldspieler nicht gut nach innen? Und dann stechen wir genau da rein. Also, wir versuchen es ...

SPOX: Geben Sie uns ein Beispiel.

Leese: Als wir bei den Sportfreunden Siegen antraten, stellte ich fest, die haben enorme Probleme in der Rückwärtsbewegung. Deshalb habe ich meine Mannschaft zum ersten und einzigen Mal extrem defensiv spielen lassen, mit Abwehrpressing und brutal schnellem Umschalten auf Konter. Die Jungs sträubten sich zunächst: Das seien nicht wir. Noch in der Halbzeit, als es 1:1 stand, wollte ein Spieler mit mir diskutieren: Das sei viel zu defensiv. Ich habe wieder argumentiert und erklärt, und wir machten so weiter. Irgendwann führten wir 4:1. 4:2 war der Entstand; auswärts, gegen ein Team mit Zweitligapotenzial.

SPOX: Wäre nach fünf Jahren und zwei Aufstiegen in Bergisch-Gladbach nicht der Zeitpunkt gekommen für den nächsten Schritt?

Leese: Ich weiß, was ich an Bergisch-Gladbach habe. Ich weiß aber auch, dass es hier angesichts unserer finanziellen Möglichkeiten nicht viel weiter gehen kann, als uns in der Oberliga zu etablieren. Ich möchte einfach einmal herausfinden, wie das ist, eine Mannschaft unter Profibedingungen zu trainieren, wenn du sieben Einheiten die Woche zur Verfügung hast und nicht nur viermal die Woche, abends nach der Arbeit. Ich werde dafür kämpfen, dass ich bis zur Rente als Trainer leben kann. Denn eines weiß ich, wenn ich das so sagen darf: Ich bin ein besserer Trainer, als ich ein Torwart war.

SPOX: Dann gibt es nach dem Traumhüter irgendwann auch den Traumtrainer als Buch?

Leese: Wenn ich die Champions League gewinne vielleicht. Nein, im Ernst: Das Buch war eine einmalige Erfahrung, egal wo ich heute im Fußball hinkomme, grüßen mich die Leute: "Ah, der Herr Traumhüter." Aber als Trainer wäre es mir auch recht, wenn ich eine ganz normale, langweilige Karriere im Profifußball hinlege. Deshalb denke ich, als Buchheld werde ich eher ein One-Hit-Wonder bleiben.

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